Inspiration für ein neues Bachhaus (2012)

Inspiration für ein neues Bachhaus
Offener Brief an die Mitglieder des Vereins „Bach in Weimar“

1. Das Verfahren

Die Erwartungen an ein neues Bachhaus in Weimar sind groß. Doch welche Werte soll es verkörpern, welche Gestalt soll es erhalten und vor allem: Wie können wir zu einem Ergebnis kommen, das dem großen Bach gerecht wird?

Auf dem Architekturforum, das im Rahmen der Bach-Biennale 2012 stattfand, sagte jemand den Satz „Die Kunst ist nicht demokratisch“. Hintergrund dieser Aussage war die Frage, welchen Einfluss die Öffentlichkeit, namentlich der Verein „Bach in Weimar“ und die Stadt Weimar auf den Gang der Ereignisse hin zu einem neuen Bachhaus hätten. Der oben genannte Satz hat in diesem Zusammenhang eine demotivierende Wirkung, ihm muss deshalb widersprochen werden.

Kunst ist natürlich insofern nicht demokratisch, als die neugierigen Zuschauer dem Maler an seiner Staffelei (wie dem Komponisten an seinem Pult) nicht vorschreiben dürfen, welche Farbe der Himmel hat. Aber alles andere unterliegt einem Kunstsystem, das auf hintergründige Weise in gesellschaftliche Prozesse eingebunden ist. Die unterschiedlichsten Interessen tangieren das Kunstwerk. Für die Kunst ist nicht nur wichtig, wieviele außerkünstlerische Momente auf die Kunstproduktion einwirken, es ist auch interessant, welche der gesellschaftlichen Einflüsse demokratisch legitimiert sind und welche nicht.

Noch stärker als Kunst ist ein Bauvorhaben den unterschiedlichsten Interessen ausgesetzt. Bauen ist eine öffentliche Angelegenheit und das ist gut so. Aber Bauen ist nicht nur eine öffentliche Sache, wenn es sich um öffentliche Gebäude im eigentlichen Sinne handelt, sondern auch dann, wenn der Ort öffentlich genutzt wird oder einen Ort besetzt, der von hohem öffentlichen Interesse ist. Ein Bauwerk am Marktplatz einer Weltkulturstadt,das zu Ehren eines der größten Musikgenies aller Zeiten errichtet wird, ist zweifellos ein Objekt von höchstem öffentlichem Belang.

Wenn aber Vorhaben im Blickfeld unterschiedlicher Interessen stehen und das ist für das neue Bachhaus in Weimar mit Sicherheit der Fall, so sollten diese Kräfte in einem transparenten Verfahren sichtbar bleiben. Zur Zeit sind aus meiner Sicht vier Hauptakteure erkennbar: Der Verein „Bach in Weimar“ als Initiator, die Schörghuber Holding in München/Arabella Hospitality Group (Das Hotel „Elephant“) als Eigentümer, die „friends of Dresden“ (mit Prof. Dr. Blobel) als potentielle Geldgeber und die Bürgerschaft Weimars inmitten der weltweiten Fangemeinde Bachs. Und natürlich treten die unterschiedlichsten baukünstlerischen Haltungen hinzu.

Auf dem oben genannten Architekturforum entstand der Eindruck, dass es innerhalb der möglichen Architekturkonzeptionen eine klare Präferenz für die kunstgeschichtliche Position von Prof. Dr. Nerdinger gibt und diese von maßgeblichen Unterstützern getragen wird. Entsprechend dem Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden soll das Bachhaus in Weimar möglichst historisch getreu rekonstruiert werden, mindestens in der äußeren Erscheinung. Das ist natürlich eine der möglichen Optionen, aber eben nur eine und wie ich meine und weiter unten ausführen werde, nicht die beste.

Zunächst geht es also darum, einen wirklich freien Wettbewerb der Ideen zuzulassen, der von den kulturellen Wertvorstellungen der Geldgeber unabhängig ist. Leipzig hat dafür ein Beispiel gegeben. Dort hat sich die Universität und die Mehrheit der Bürgerschaft gegen die historische Rekonstruktion der Universitätskirche gewandt und die daran gekoppelte Finanzierung derselben abgelehnt. Inzwischen erfährt dort die moderne Interpretation der gotischen Kirche eine breite Zustimmung.

Was bedeudet das für das Anliegen, Johann Sebastian Bach eine ausgezeichnete Memorialstätte in Weimar zu geben? Das heißt zunächst, allen sensiblen, kreativen und interessierten Ideengebern diejenige Freiheit zu verschaffen, die sie für den Wettstreit ihrer Ideen benötigen. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: Das Grundstück muss in der Hand des Souverän sein (es muss also vom Verein, der Stadt oder einer anderen öffentlichen Institution erworben werden). Und zweitens muss der Einfluss von Sponsoren auf Inhalt und Form des Bauwerkes begrenzt werden. In einem nächsten Schritt sollte besprochen werden, wie dieses offene Feld der Ideen in ein konkretes Ergebnis überführt wird, (offener oder begrenzter Wettbewerb usw.). Ich bin dafür, in den frühen Phasen der Planung die Ideenfindung weit über den Rahmen der üblichen Fachleute hinaus zuzulassen. Wichtig ist, dass in einem möglichen Wettbewerbsverfahren der Ausschreibungstext, die Mitglieder der Jury, die Bewertungskriterien usw. ebenfalls in einem transparenten Prozess bestimmt werden. Wenn wir auch noch weit davon entfernt sind, so sollten wir schon jetzt darauf achten, dass ein bürgerschaftliches Engagement der offenen und freien Ideensuche nicht im Wege stehen darf.

2. Das Haus – die Skulptur

Im ersten Punkt habe ich ein allgemeines Verfahren beschrieben, im zweiten Teil stelle ich mein Bachhaus vor. Dieser Teil ist also sehr subjektiv und eben nur eine der möglichen Optionen, die sich mit anderen im Wettbewerb der Ideen messen wollen.

Zunächst stellt sich die Frage, welchem Grundtypus des Memorials das Bachhaus entsprechen soll. Soll es ein Wallfahrtsort, Ort der Bach’schen Musikpflege oder das sozialkulturelle Zeugnis eines Hofmusikers am Anfang des 18. Jahrhunderts sein – oder noch etwas anderes? Mir wäre der Wallfahrtsort zu retro und mystisch. Als aktive Spielstätte wäre das Haus wegen des geringen Bauvolumens wahrscheinlich nur bedingt geeignet. Als Ort des Erinnerrns an Bachs bescheidenes Leben in Weimar würde der Ort die Größe Bachs verfehlen. Es wird also eine sehr originelle Museumskonzeption zu kreieren sein, die aktive Elemente des Musizierens an das Bach´sche Genie knüpft.

Unter dem Thema der historischen Rekonstruktion würde ich es vorziehen, nicht das Bachhaus, sondern den gesamten „Erbprinzen“ zu rekonstruieren, also dasjenige Gebäude, in welches Bach´s Wohnhaus nach mehrmaligem Umbau eingegangen ist. Das hätte den Vorteil, einen durch Befunde gesicherten Zustand des Bachhauses zur Grundlage einer historischen Rekonstruktion zu machen. Bachs Wohnhaus würde sich mit einem einzigartigen kulturhistorischen Memorial verbinden – einem Kleinod und Hotel der kulturellen Prominenz, in dem Liszt, Wagner, Berlioz und viele andere große Musiker gewohnt haben. Für die innere Raum- und Funktionsordnung zwischen Bachstätte und Hotel ergäben sich vielfältige Möglichkeiten. Bach könnte in den Kontext einer 300järigen Kulturgeschichte gestellt werden.

Für das Ensemble des Marktplatzes hätte die historische Rekonstruktion des „Erbprinzen“ außerdem den Vorteil, ein den Maßstäben Weimars entsprechendes kleines und feines Hotel der protzigen Fassade des benachbarten „Elephanten“ an die Seite zu stellen. Ein problematischer Teil des Stadtbildes könte dadurch teilweise repariert werden.

Wenn aber die Eigentums- und Finanzierungsinteressen den Wiederaufbau von „Erbprinzen“ inclusive Bachhaus nicht zulassen, so sollte die ganze Vielfalt dessen, was im Luftraum über dem Kellergeschoss Bachs möglich ist, diskutiert werden. Die Nachahmung einer baugeschichtlich nicht gesicherten Fassade mit stark veränderter innerer Raumstruktur wäre meiner Meinung nach die schlechteste Lösung. Bedenken wir immer: Nur Ort und Keller sind original Bach. Es sollte auch bedacht werden, dass Bach in dieser Dienstwohnung eher zufällig gewohnt hat und diese Hülle nicht unbedingt ein Ausdruck seiner selbst war (anders als bei Goethes Wohnhaus). Natürlich kann eine belibige Fassade für etwas stehen, das sich historisch mit ihr verbunden hat, doch gibt es bessere Möglichkeiten, einprägsame und identifikationsstiftende Orte zu schaffen. Die Frage ist also: Welche Architektur wäre die am meisten inspirierende?

Auch hier sollten wir nach dem Sinn fragen. Was wollen wir über Bach ausdrücken? Bach ist das Zentrum des Barocks, Bach ist grandiose Musik und Bach ist unerschöpfliche Kreativität. Ich kann mir ein modernes Gebäude in Form einer gebauten Skulptur vorstellen, die in der Reihenfolge dieser Begriffe „Kreativität, Musik und Barock“ eine architektonische Interpretation von Bachs Werk darstellt und damit genau das Wesentliche des Phänomens „Bach“ trifft. Es wäre ein begehbares und bespielbares modernes Kunstwerk und würde völlig neue Maßstäbe in der Memorialkultur Bachs setzen.

Bach war ein grandioser, kraftvoller Erneuerer. Er war nicht rückwärts gerichtet, er war bis zum Lebensende, vor allem aber natürlich in seiner jungen Weimarer Zeit ein außerordentlich innovativer Komponist, der das musikalische Experiment schätzte. Wir sollten eine künstlerisch-architektonische Lösung finden, die mit der Geschichte ebenso sensibel, radikal und kreativ umgeht, wie das Bach und seine zeitgenössischen Barock-Architekten mit der Hinterlassenschaft ihrer Vorgänger getan haben. Ein kraftloses, nur am historischen Kontext ausgerichtetes Bachhaus wäre kein wirkliches Bachhaus.

Zusammenfassend: Ich sehe zwei Möglichkeiten. Die historische Rekonstruktion des „ERbprinzen“ mit dem integriertem Bachhaus oder die Freie Interpretation des Genies in Form einer künstlierischen Architektur über den alten Kellern. Soweit die eigene Position. Ich komme zurück zum Verfahren. Es ist wichtig, dass der Verein „Bach in Weimar“ die Initiative zu einem wirklich offenen Disput über das künftige Bachhaus eröffnet. Im Sinne eines „people-brain-storming“ sollten sich alle Interessierte auf die unterschiedlichste Weise in die Ideenfindung einbringen – vgl. den Aufruf „Die Ideen sind frei! – Ein Manifest für die Stadt“. Ich schlage vor, ein Diskussionsforum auf der Internetseite des Vereins speziell zum neuen Bachhaus zu eröffnen. Es geht aber nicht um eine Mehrheits- und Abstimmungsdemokratie, sondern um eine Mitmachdemokratie, in die sich originelle Bachfans und die Fachleute argumentierend einmischen. Und vor allem geht es natürlich um die architektonische Idee.

Bevor etwas gebaut wird, war es immer erstmal Idee. Es wird umso gültiger, je mehr die Baustoffe und Bauteile vor ihrer Materialisierung zunächst etwas großes Gedachtes und Gefühltes waren. Architektur ist vor allem etwas Geistiges und eine Art von Kommunikation, ein ästhetischer Austausch der Bauwerke mit unserem Bewußtsein. Durchdenken und durchfühlen wir den geliebten Bach und es wird keine Fassade, sondern ein Kunstwerk herauskommen.

Sie werden mir doch sicher zustimmen.

Prof. Dr. Olaf Weber
Professor für Ästhetik i.R. an der Bauhaus-Universität Weimar
Weimar, den 06.08.2012

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