Weimarer Sommer anders (2012)

Weimarer Sommer anders
Der Weimarer Ästhetik-Professor Olaf Weber fordert ein unverwechselbares Festival. Dafür brauche es auch künftig eine starke Intendanz. Michael Helbing sprach mit ihm darüber

Weimar. Das Ende der „Pèlerinages“-Kunstfeste von Nike Wagner ist absehbar. Die Intendantin wird 2013 ihr zehntes und letztes Festival verantworten. Weil aber das Geld knapp wird, vor allem jenes vom Bund ausbleibt, sind schon im kommenden Jahr einschneidende Veränderungen spürbar: Das Kunstfest wird um eine Woche verkürzt stattfinden.
Längst ist die Debatte um die Zukunft des Festivals in Gang. Angestoßen durch die Marketing-Initiative „Weimarer Sommer“ der Weimar-GmbH, sehen manche sogar schon die Chance, das alte Kunstfest durch einen neuen Kultursommer abzulösen.
Der Weimarer Ästhetik-Professor Olaf Weber (68) fordert mit Blick auf die derzeitige Debatte vor allem eine extreme Originalität und wünscht sich Weimar „auf dem Weg zu einem inklusiven Festival“, wie er es in einem Positionspapier schreibt.

Sie attestieren dem Kunstfest der Ära Wagner „gewisse Erfolge“, sprechen aber gleichwohl von einer problematischen Entwicklung. Wieso?
Das Interessante an diesem Kunstfest ist die künstlierische Persöhnlichkeit von Nike wagner, das Problematische an ihm besteht keineswegs an einem angeblich zu hohen Niveau oder einem elitären Gestus der Veranstaltungen, wie manchmal behauptet wird. Das Kunstfest braucht kein Mehr an vermeintlicher „Volkstümlichkeit“ oder Konventionalität, wie ebenfalls oft gesagt wird. Es fehlt etwas anderes: eine künstlerische Komplexität, die das historische Spektrum der Kulturstadt Weimar im Zeitgemäßen abbildet.

Ihnen fehlt es also an einem gewissen Facettenreichtum?
Ja, der Haupteinwand gegen Nike Wagners Kunstfest ist ihre Einengung. Trotz einiger Tanztheateraufführungen, Ausstellungen und Diskussionsrunden ist die Überdominanz des Musikalischen nicht zu übersehen. Das ursprünglich breit angelegte Kunstfest ist immer mehr zum Musikfest geworden und büßt seine Ambitionen als genreübergreifendes Ereignis ein.

Was wäre denn Ihrer Meinung nach zu tun?
Es wäre geboten, zum schon mal Erreichten auf vielleicht völlig neue Art zurückzufinden und damit die historisch entstandene kulturelle Vielfalt und Einmaligkeit Weimars zu reflektieren. Der Geist Weimars ist durch eine wunderbare Verstrickung von Literatur, Musik, bildender und darstellender Kunst, Architektur und Design, Landschaftsgestaltung und anderem generiert.

Ihre Empfehlung ist demnach die von Goethes Theaterdirektor aus dem „Faust“: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen?
Nicht ganz. Ein Festival in Weimar sollte all diese Genres nicht nur gleichwertig bedienen, sondern gerade die gegenseitige Durchdringung und Verschmelzung der Kultur zu ihrem Gegenstand machen. Die Interferenz der Künste und Medien wäre dann das Thema, also ihre gegenseitige Bedingtheit und das durchdringen der künstlerischen Sprachen.

Wie könnte das aussehen?
Ein geeignetes Konzert könnte durch eine Performance belichtet, eine Theateraufführung durch Design-Innovationen und Lyrik überformt werden, eine Kunstausstellung in Architektur und Szenen aufgehen, ein Liederabend in ein interaktives Medium eintauchen und so weiter. Das sind für Künstler wie Zuschauer Herausforderungen, aber spannende.

Was erhoffen Sie sich davon?

Ein solcher Umgang mit dem Historischen hätte eine avantgardistische Komponente und das sind wir ja dieser Stadt schuldig – und nicht nur dem Bauhaus. Weimar hat sich stets auch radikal erneuert. Heute könnte das Credo des Festivals lauten: „Inmitten der Künste“. Die künstlerische Grenzüberschreitung wäre dann seine Programmatik.

Es geht Ihnen dabei also um das Unverwechselbare.
Ja, denn ich sehe im kreativen Durchdringen der Künste das Originäre am Weimarer Kunstfest. Bedeutende Musikfestivals gibt es in Deutschland viele, auch berühmte Theaterfeste und große Kunstausstellungen. Ein Kunstfest als Medium der Künste gibt es aber nicht, es könnte unsere Perspektive sein.

Wäre dann nicht ein Kunstfest der Weimarer Kulturinstitutionen, wie es etwa dem OB-Kandidaten Martin Kranz vom Weimarwerk vorschwebt, die richtige Antwort?
Ganz und gar nicht. Als nach Bernd Kauffmanns Rückzug die „Großen Sieben“ von Weimar die Sache übernahmen, kam nicht viel Gutes heraus. Ein Kunstfest der Institutionen kann immer nur Stückwerk hervorbringen. Ein anspruchsvolles Festival braucht aber ein stringentes künstlerisches Konzept und einen Kopf, der das durchzieht.

Kranz oder auch der FDP-Kulturpolitiker Dirk Heinze halten einen neuen Intendanten für unnötig. Sie also nicht?
Nein. Was steckt denn hinter den zur Zeit diskutierten Vorschlägen? Doch nur ein Pragmatismus in den Kategorien des Managements. Ein paar geeignete Orte (schwanseepark, Schlosshof, E-werk) werden mit Jährlichen Jubiläen (wagner, Bach, Van de Velde, usw.) raumzeitlich gekoppelt und mit einem hübschen titel überschrieben. Das wird kein überregional ausstrahlendes Festival werden. Die genannten Räume sind als Veranstaltungsorte sicher geeignet, vielleicht ist auch „Weimarer Sommer“ ein hübscher Titel. Was aber fehlt, ist eine Diskussion um den originären Charakter des Festivals – und das ist sogar das Wichtigste. Im Übrigen werden auch Fördergelder nach dem Kriterium der Originalität vergeben.

Und wie steht es nun mit der Intendanz?
Wenn wir uns als Bürger der Stadt nach einer intensiven öffentlichen Debatte auf ein originelles, und kreatives Festival verständigt haben – und das wäre nach meinem Vorschlag ein Fest als Medium der kollaborierenden Musen, also ein Schmelztigel der Künste – so braucht man dazu eine dominante, zur Inklusion drängende Kraft.Die Person, die diese Aufgabe übernehmen kann, muß selbst künstlerisch wirken. Und diese Künstler-Management-person braucht wiederum ein Amt, das nach der Berufung über ein hohes Maß an Entscheidungsbefugnis verfügt – und das ist eine Intendanz.

Veröffentlicht in: Thüringer Landeszeitung und Thüringer Allgemeine jeweils vom 06.01.2012

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