Die Zensur
Wie an der Bauhaus-Universität ein Statement verschwand
Die Zensur ist eine unanständige Praxis des Machtmissbrauchs: Eine Institution oder eine mit öffentlicher Macht ausgestattete Person schickt sich an, als Zensor über andere Meinungen zu triumphieren. Man könnte annehmen, dass eine solche Zensur an einer Kunsthochschule, an der „Freiheit“ eine elementare Bedeutung besitzt, ausgeschlossen sei – besonders im 20. Jahre der deutschen Einheit und besonders im Osten Deutschlands. Wie konnte ausgerechnet im Jahre 2010, zum 150-jährigen Jubiläum der Kunstschule in Weimar ein Maulkorb verhängt werden? Und wie ausgerechnet an den einzigen Professor mit Ostsozialisation?
War das ein Zufall? Ist die Beschränkung künstlerischer und wissenschaftlicher Freiheit, also die Erhebung einer Zensur nur die Sache eines Einzelnen? Sagen wir eines Kleingeistes, der irgendwann verspürt, die Hülle seines Amtes nicht ausfüllen zu können? – Natürlich nicht.
Was war passiert? Zum besagten Jubiläum und anlässlich der großen Ausstellung „150 Jahre zur Bauhaus-Universität Weimar“ hatte der Rat der Fakultät Gestaltung beschlossen, dass sich alle geschätzten ProfessorInnen in einem kurzen Statement per Video dem Publikum vorstellen mögen. Der Sinn der Veranstaltung bestand darin, die Vielfalt der Lehrmeinungen an der Fakultät abzubilden. Die einminütigen Statements waren 2 Monate vor der Ausstellungseröffnung produziert worden, doch fehlte am Eröffnungstag das Porträt eines der Portraitierten. Es sei leider verlorengegangen, meinte der verantwortliche Dekan, und aus verschwiegenen Gründen auch nicht wiederholbar, die Wörter hätten sich aufgelöst, in Beliebigkeit und Bildsalat, in Luft. Das war natürlich nicht glaubhaft. Es war vor allem sehr schade, denn der Betroffene, ein gewisser W., hatte in seiner Sendeminute Interessantes über den Zustand der Welt zu berichten gewusst und dass die Kunst auf die Absurdität der Finanzmärkte und anderen Paradoxien mit einer eingentümlichen und intelligenteren Absurdität reagieren könnte. Passte das dem Zensor nicht oder passte ihm nur die Mütze nicht? Wir werden es nie erfahren.
Der Fakultätsrat stellte sich natürlich auf die Seite des Entmündigten und verlangte die Vervollständigung des amputierten Videos. Das war logisch, denn keiner der Hochschullehrer hätte sich zum Statement unter der Bedingung bereit erklärt, dass irgend jemand seinen Beitrag zensiert. Nun passierte etwas Skurriles. Der Schöpfer des Videos berief sich nach dem Kappen des missliebigen Beitrages auf die sogenannte „Werkintegrität“ und erklärte das lückenhafte Video zum Kunxstwerk, an dem nach seinem Kunstverständnis nichts hinzuzufügen (nur etwas herauszuschneiden) sei. An dieser Selbstermächtigung des „Schöpfers“ und des Dekans (der in der Videoschleife gleich zweimal vorkam) erschöpften sich schnell die kleinmütigen Widerstandskräfte des Fakultätsrates. Dieser strich die Segel, nachdem die beiden Beschuldigten eigenmächtig das Ende der Debatte erklärt hatten. Null Aufklärung. Die Details dieses skandalösen Verfahrens und der krachenden Inszenierung sollen dem Leser hier erspart bleiben.
Doch eine Zensur bleibt die Zensur auch dann, wenn das Statement in einer diskriminierenden Form doch noch erscheint: Mit wochenlanger Verspätung, notdürftig auf einem lächerlich kleinen Bildschirm laufend, der abseits der großen Flachbildschirme auf einem Fenstersims steht und kaum erkennbar ist. Doch damit nicht genug. Das Publikum sollte das Stromkabel selbst in die Steckdose führen, um dann eine namenlose Person sprechen zu hören. Natürlich blieb dem wenigen Publikum, dass dieses Objekt der Zensur im Glanz der übrigen Ausstellung überhaupt entdecken konnte, nur übrig, den ratlosen Kopf zu schütteln. Die anderen fragten sich, warum der ansonsten so engagierte W. die Gelegenheit nicht nutzte, um zu Fragen seines Faches Stellung zu nehmen. Hoch angesehene Persönlichkeiten drückten in Briefen an den Rektor und den Dekan ihr Unverständnis über die Diskreditierung eines Mitgliedes der Fakultät und das unakademische Verhalten der Universität aus. Diese aber schwieg zur Zensur: Keine Presse! Und keiner der Kollegen brachte den Mut auf, aus Solidarität mit W. sein eigenes Statement zurückzuziehen.
Der solcher Diskriminierung Ausgesetzte dachte auch über einen Rechtsstreit nach, verwarf diese Idee aber, als er an andere, interessante und noch unerledigte Projekte dachte, auch an seine künftigen kreativen Mußestunden im Ruhestand. Die Lektion in Sachen „Meinungsfreiheit“ hatte aber wichtige Fragen offen gelegt: War die Zensur nur der persönliche Racheakt eines Zukurztretenden? War das ein Exempel für den Niedergang der ursprünglich interessanten, nach fast 20 Jahren aber verkorksten Gründungsidee der Fakultät? War es ein Hinweis auf die zunehmende Fremdbestimmung der Universität, in der „obere“ Wirtschaftsforen ihre Interessen nach unten durchstellen? War es ein Sinnbild für das Pseudo in den Begriffen von Freiheit und Demokratie auf unserem Kontinent. – Wahrscheinlich von allem etwas.
Prof. Dr. Olaf Weber