Das Schießhaus. Lebens-Kunst über Weimar (2010)

Das Schießhaus
Lebens-Kunst über Weimar

Ein außergewöhnliches klassizistisches Gebäude in Weimar und seine neuerliche Verbindung mit Geistes-, Sinnes- und Lebenslust, also eine Nutzung, die – ähnlich den antiken Thermen alle Künste und Lebenskünste vereint – das soll hier vorgestellt werden. . Das sogenannte „Schießhaus“ hat durch seine stilistische Nähe zu Palladio, aber auch durch Goethe, der seine Entstehung interessiert beobachtete, eine ausdrückliche Beziehung zur Antike. Die antike Welt wiederum könnte dem Schießhaus in ihrer historischen Symbiose von körperlichen und geistigen Genüssen einen neuen Inhalt geben. Es ist eine erstaunliche Übereinstimmung der historischen und ästhetischen Qualitäten des „Schießhauses“ mit der Idee einer auf den Künsten basierenden Lebensphilosophie festzustellen. Ein wunderbarer historischer Ort und ein neuerlich herangereiftes Lebensgefühl fügen sich fast passgerecht zusammen.

Die römischen Thermen

Die spätantiken Thermen waren nicht nur großartige Beispiele der Wasserkunst, sondern vor allem Orte, in denen sich das antike Ideal einer Einheit von Körper und Geist manifestierte. Sie waren weniger Planschpaläste als Begegnungsorte , an denen Ereignisse, Ideen, Sensibilität und Lebensstile ausgetauscht wurden. Sie waren für das Vergnügen und für das Bedürfnis da (Seneca). Zum Lustgewinn gehörten Bibliotheken, Lesesäle, natürlich Gasträume, Massagebänke, Separee´s, Vortrags- und Ruheräume, Schönheitssalons, Sportanlagen, Poesie- und Musizierkabinette und Wandelhallen. Die Römer brauchten solche Musentempel des Körpers, sie hatten viel freie Zeit, weil sie täglich nur maximal 6 Stunden arbeiteten – ein Modell, das auch für heute gut wäre, wenn unsere Maschinen-Sklaven darauf orientiert wären, uns zu entlasten und mit ähnlich viel freier Zeit zu versorgen.

Die bildenden Künste waren in das antike Leben eingebettet. Mosaiken und Statuen, Stuckornamente und Gravuren schmückten die weitläufigen Gebäude. Thermen waren multifunktionale Bauwerke und Gesamtkunstwerke, in denen die Atmosphäre der Freiheit und der Muße herrschte.

Die zerteilte Muße und ihre Institutionen

Die Ideale der Ganzheit und der Vollkommenheit mussten im Laufe der nachantiken Entwicklung verlorengehen. Die zunehmende Arbeitsteilung brachte einen enormen Entwicklungsschub, doch spalteten sich auch die Dinge, die Künste und die Genüsse. Alles spezialisierte sich in Nischen des geistigen und materiellen Lebens, die Bedürfnisse und die Funktionen trieben immer weiter auseinander. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft hat aber heute einen Stand erreicht, in dem das Streben nach Integration und Ganzheit wieder zunimmt. Immer noch steht aber alles nebeneinander oder weit voneinander entfernt: Fitnesscenter, Kammeroper, Wellnesshotel, Literarische Gesellschaft, Saunalandschaft, musikalischer Salon, experimentelles Theater, philosophischer, poetischer und erotischer Club. Von all diesen Institutionen und Häusern die wohlfeilsten Elemente in einem harmonischen Ambiente zu vereinen – das wäre der Sinn eines Unternehmens, das den Ganzheitshoffnungen des modernen Menschen wieder ein Stück näher kommen kann. Die Römer haben uns das schon einmal vorgemacht.

Das Schießhaus und die Antike

Am 14. Juli 1807 wurde das von dem bekannten Berliner Baumeister Heinrich Gentz 1802 entworfene „Schiesshaus“ als Vereinshaus der Schützengilde, aber mehr noch als allgemeiner Ball- und Vergnügungsort der Weimarer Bürger eröffnet. Das ausladende klassizistische, auf einem Hügel nahe dem Park, dem Schloss und der Stadtmitte gelegenen Bauwerk besaß neben einem großen Festsaal verschiedene größere und kleinere Salons, Gasträume, Küche, Schankräume, mehrere offene Kamine, Nebenräume und Keller. Zu verschiedenen Jahreszeiten fanden hier rauschende Bälle, Bankette, Spielrunden und Ausstellungen statt. Das gelbe runde Zimmer war exklusiv dem damals etwas anrüchigem „Pharo-Spiel“ vorbehalten.

Goethe, der den Bau aufmerksam beobachtete, nahm ihn zum Anlass für philosophische Betrachtungen über Architektur. Er bezeichnete den strahlenden Bau mit seiner „umarmenden Geste“, die aus seiner hufeisenförmigen Gestalt erwuchs, als „Lustgebäude“, und das Publikum als „die Tanzenden, die Genießenden“. Dieses Lustgebäude war nicht nur von seinem Raumangebot dem geistreichen und spielenden Genuss zugetan, auch der ästhetische Habitus war in seiner antiken Orientierung dem erhabenen Schönen verpflichtet. Gentz war ein begnadeter Baumeister und Bewunderer von Palladio, dessen römischen Villen er großartige Stilelemente entlieh.

Die axiale Anlage des Schießhauses wurde durch eine vierfache Lindenallee, die auf das Schloss gerichtet war, nochmals verstärkt. Das schöne Freigelände war teilweise mit weiteren Häusern und Anlagen bebaut, die unterschiedlichen Zwecken dienten.

Wahlverwandtschaften zwischen Künsten und Lebenskünsten

Muße ist kein bloßes Nichtstun des Faulenzers, sie ist tätiges Genießen als Vorhof der Kreativität. Einer solchen Muße sollte dieser Ort verpflichtet sein, dessen Anspruch zu einer deutschland- und europaweiten Ausstrahlung und Anziehungskraft führen wird. Kunst und Lebenskunst vereinigen sich darin auf hohem Niveau, wobei die vielen Formen der Kunst (der Musen) und der Liebe (der Empathie und des Genießens) neue und positive Ausdifferenzierungen erfahren werden. Es geht nicht um die Summierung der vielen humanen Branchen in einem Gebäude, sondern um eine neue, vieles auch ausschließende Symbiose von subtilen Anstößen zum Genuss. In einer neuen Art der Antikenrezeption wird in dem dafür prädestinierten Weimar ein Ort erfunden, der die Kunst zum Zentrum und Ausgangspunkt des menschlichen Zusammenlebens macht – zum zweiten Male nach der Antike. Jenseits jeder Nostalgiegeht es um eine zukunftsweisende Lebensgestaltung, die bloß die anthropozentrische Grundhaltung aus der Geschichte herausfiltert und das andere der Zukunft überlässt. Das Schießhaus wird zum Laboratorium einer geistigen und sinnlichen Utopie. Die Goethe`sche Idee der „Wahlverwandtschaften“ war durch und durch experimentell. Und wie die Empathie erst erprobt sein will, so kann auch das Ambiente nur aus der Freude an den modernsten ästhetischen Mitteln erwachsen. Der Stil des Schießhauses wird der einer utopischen Klassik sein.

Die Realisierung

Die Gebäudeanlage und die Freiflächen befinden sich in einem beräumten, aber desolaten Zustand. Das Schießhaus ist im Laufe seiner Geschichte mehrmals umgebaut worden. Es müsste natürlich den neuen Erfordernissen gemäß wiederum verändert (teilweise aber auch rückgebaut) werden. Für das Gebäude gibt es eine relativ ausführliche Dokumentation, für das Gartengelände ist die historische Erkundung noch relativ schwach. Die große Baumallee ist leider nur noch teilweise vorhanden.

Seit einigen Jahren versucht die Landes-Entwicklungs-Gesellschaft (LEG) das Gelände zu vermarkten. Dabei konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Freiflächen, für die ein parzellierter Wohnungsbau vorgesehen ist, während das Schießhaus grob vernachlässigt wurde. Dieses Herangehen ist völlig unakzeptabel, es ist unhistorisch und kleinlich. Ausgangspunkt sollte das Schießhaus sein, für das eine bedeutende Nutzung gefunden werden muss, um von diesem höchsten Rang her das Gelände zu entwickeln (siehe oben). Historische Aspekte der Gartenkunst sind dabei zu beachten, doch ergibt das Gelände auch reichhaltige Möglichkeiten zu einer das Schießhaus ergänzenden Neubebauung (Studios, Ateliers, Pensionen usw.).

Wichtig ist zunächst ein Moratorium, um die Planungen, die in die falsche Richtung laufen, zu stoppen, damit dieses großartige Objekt doch noch einer würdigen Nutzung zugeführt werden kann. Ein Investor ist wahrscheinlich nur im überregionalen, vielleicht sogar im globalem Raum zu entdecken, es sollte alles unternommen werden, um diesen ambitionierten Investor zu finden, der die Größe dieser Aufgabe und dieser Chance erkennt.

Prof. Dr. Olaf Weber
Weimar, im März 2010
Auszüge in Thüringer Landeszeitung vom 06.04.2010 und Thüringer Allgemeine vom 07.04.1010
und Mittelthüringer Kulturjournal

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