Ästhetik ist Muße (2003)

Olaf Weber
Ästhetik ist Muße.
Ein Performance-Vortrag mit
Myriam Eichberger (Blockflöte)
Musik (Ausschnitte bearbeitet) aus: „Black intention“ von Maki Ishii (geb. 1936)
Vorgetragen auf dem Kolloquium „Ästhetik – Aufgaben einer Wissenschaftsdisziplin“ der Philosophischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin am 28.02.03.

Wir betreten die Bühne. Ich habe einen Blindenstock in der Hand, an dem ein merkwürdiges optisches Gerät befestigt ist. ME sitzt auf einem Drehstuhl, vor und hinter ihr stehen zwei Notenständer. Ich setze eine Sonnenbrille auf.
Lange Pause.

Die Ästhetik …

ME spielt Teile einer modernen Kompositionen von Maki Ishii mit dem Titel „black intention“. Meist beginnt sie dann zu spielen, wenn ich anfange zu sprechen. Meine langsamen Worte „schwimmen“ auf der vibrierenden und heftigen Musik. Die Sprache kommt von einem vorbereiteten Tonträger über Lautsprecher, manche Worte oder Sentenzen spreche ich aber auch life. Die Musik reicht meist zeitlich über das Sprechen hinaus. Erst wenn sie aufhört entstehen relativ lange, spannungsvolle Pausen. Sprache und Musik haben ein zwiespältiges, von Respekt und Eigensinn geprägtes Verhältnis, in dem auch Störungen enthalten sind. Selten illustriert die Musik den textlichen Inhalt. In den Pausen, die komponierte Intervalle darstellen, wäre Entspannung möglich, wenn eine solche Ruhe in wissenschaftlichen Veranstaltungen nicht absolut fremd wäre. So bleiben sie nur Symbole für Muße. Ich spreche sehr langsam:

Ästhetik ist Muße warum? Nicht weil das Ästhetisieren Müßiggang sei, das auch, sondern weil alles Ästhetische aus der Muße kommt und zu ihr drängt. Der Gegenstand und die Methode der Ästhetik kann nur die Muße seinMuße ist da, um nicht faul sein zu müssen. Faulsein ist an die Erwerbsarbeit gekettet, ist selbst Arbeit. Erzwungene Nicht-Arbeit ist Muselosigkeit. Arbeit zu Freizeit ist wie Unterhalt-Industrie zu Unterhaltungsindustrie. Kein Ausblick auf Muße also so. Stumpfsinn und Muße sind im Nichtstun dasselbe und gerade darin das Gegenteil, denn Stumpfsinn ist Verlust, Muße aber Gewinn an Zeit.

Ich spreche etwas zeitversetzt zum Tonträger:

Stumpfsinn und Muße sind im Nichtstun dasselbe und gerade darin das Gegenteil, denn Stumpfsinn ist Verlust, Muße aber Gewinn an Zeit.

Noch 45 sec Spiel, 60 sec Pause, 53 sec Spiel, 25 sec Pause.

Muße ist die Innerlichkeit des Nichtstuns. Zuerst ist Muße ein Kappen aller Verbindungen nach außen, aller Taue, Spinnennetze und Fallstricke, ein Abschneiden der Ohren. So. Die Schallwellen löschen. Versinken im stummen Gehör der Zellen. Und keine Grübel-Gedanken, kein Draufzu, keine kleinen und großen Ziele. Und keiner Gewürz-Mühle der Fühl-Gefühl.

Noch 51 sec Spiel, 30 sec Pause

Die Muße ist nicht messerscharf, ist gar nichts ScharfesHartes, ist gar kein Gegen-Stand, will keine Geißelung, keine Selbstkasteiung. Das Ohr wieder ankleben, ganz sanft. Die Meditation als Luft, die als Duft detoniert, als olfaktorische Erkenntnis.
Muße ist nicht streng. Ihr fehlt jede Anstrengung. Schwitzen ist auch als Wort hässlich. Sitzen und Schwelgen, Schwelgen ist gut, ist keine Begeisterung.

Noch 51 sec Spiel, 40 sec Pause.

Muße ist die Übereinstimmung mit der Zeit. Wer die Zeit in sich hineinlässt, der hat sie, der ersetzt das Ticken der Uhr durch das eigne Atmen. Muße will keinen zeitlichen Wechsel mit Unrast, sondern ihre Dehnung auf das ganze Leben, das sich als eigentümlicher Wohlstand erfüllt, als Zeitwohlstand.
Muße ist Genuss, vor allem Selbstgenuss. Im eigenen Maße der Zeit, in den eigenen Amplituden, im Rhythmus der Geburt und der Logik.
Aber Muße ist der Genuss der Genügsamkeit. Nur das sich selbst genügende Leben schafft Raum für Höhepunkte. Ein Pendeln müßiger Intensität genügt als Wille zum Wechsel. So entsteht langsam Lust auf Lust.
Was die Kontemplation nach innen, ist die Behutsamkeit nach außen. Beide sublimieren die Organe. Empfindsamkeit führt zum Substrat der Muße, statt dem „rasenden Stillstand“ zur oszillierenden Stille.

Nur stilles Fingerspiel auf der Flöte, 35 sec Spiel, 30 sec Pause.

Muße ist ein zweckfreies Treiben, ein Spiel mit Musen. Sie will die Leichtigkeit mit auf den Grund nehmen. Dort grummelt Ungeahntes. Die Kreativität kriegt energische Hiebe und schöpft, aus dem Grunde sie nicht weiß. So tief, so radikal, bis zum Humus. Nur die Künste steigen wieder auf.

Noch 71 sec Spiel, 15 sec Pause.
ME singt den folgenden Satz, ich füge die weiteren Sätze der Lautsprecheransage (zeitversetzt) hinzu:

Muße ist die Kontemplation zum Schönen hin.
Muße ist die Kontemplation zum Schönen hin.
Muße ist die Kontemplation zum Schönen hin.
Muße ist Blindheit, aber mit einem Apparat für das Schöne.
Muße ist Blindheit, aber mit einem Apparat für das Schöne.

40 sec Pause.

Die Philosophie der Kunst oder die Theorie der Gestaltung, wie verschieden ist Muße. Design ist stromlinienförmig, auch wenn das Ding ein rechter-winkeliger Kasten ist. Design ist Anpassung, Kunst aber ist wider-gespenstig. Kunst ist Schmuggel. Kunst schmuggelt die Zeit in alles andere hinein, Das braucht und braucht. Kunst verlangsamt, Design beschleunigt. Design ist nur akzeptabel, wenn es Bequemlichkeit für die Muße schafft, Kunst nur, wenn sie unbequem ist. Subversives ist das, was entschleunigt. Nichts anderes. Entschleunigung.

8 sec Sprechpause, ME spielt die Blockflöte immer langsamer und kürzer (staccato-sputato).

Ästhetik ist Muße. Nieder (sehr ruhig) nieder nieder
mit der Ökonomisierung der Intervalle. Wer etwas tut ohne es zur Muße hin umzu-funktionieren, der nimmt nur anderen die Arbeit weg.

16 sec Sprechpause.

Muße ist Gelassenheit. Nicht handeln. nichts verschlechtern. nicht wirken. Unsere Muße den Tätern aufzwingen, das wäre Ästhetik.

In das schlussendliche sputato hinein:
Unsere Muße den Tätern aufzwingen, das wäre Ästhetik.

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