Rückblick – 1 1/2 Jahre Gründungsbeirat (1993)

Olaf Weber
Rückblick
1 1/2 Jahre Gründungsbeirat

Nun ist es endlich losgegangen. Am 19.11. 1993 ist die Fakultät Gestaltung auch offiziell ministerlich eröffnet worden. Gemessen an dem, was wir über die Bauhausfeste wissen, war die Eröffnungsfeier zwar noch etwas steif und künstlich, aber doch auch schön und von einer kleinen Gruppe sehr engagiert organisiert worden. Der große Altmeister des Design Ettore Sottsass, sprach über Gräser und Käfer, über die Mädchen im Bett und anderes Ausschweifende, immer aber über Gestaltung. Eine kleine Theatergruppe spielte uns die Geschichte des Designs der letzten 90 Jahre vor, in der die 40jährige DDR-Designgeschichte selbstverständlich nicht vorkam. Vorher hatte schon Prof. Lucius Burckhardt ein Bild vom Bauhaus gezeichnet, das ähnlich, nur auf andere Weise einseitig war, wie wir es von früher her kannten, Die Geschichtsklitterung geht also weiter.

Nun bin ich schon in meinem kritischen Text. Trotz aller Freude über die vollbrachte Tat muss man feststellen, dass bei der Gründung einiges grundsätzlich schief gelaufen ist. Ich hatte mich schon einmal vor einem Jahr zu den Fakten und zu der meiner Ansicht nach falschen Gründungsphilosophie des Dekans geäußert (konstruktiv Nr.). Nun will ich für die interessierte HAB-Öffentlichkeit eine abschließende Wertung geben und hoffe, dass sie nicht hämisch ausfallen wird angesichts der Warnungen vor Jahresfrist.

Die Vollendung des Auftrages durch die termingerechte Aufnahme des Studiums ist sicherlich das bedeutendste Ereignis. Der Gründungsdekan und der Beirat haben Gedanken und Zeit in ihre Aufgabe investiert. Daraus sind positive Ergebnisse erwachsen, vor allem dreierlei:

1. Der völlig unzureichende Strukturplan der „Darmstädter Kommission“ konnte
durch einen neuen ersetzt werden, der nicht mehr das Dienstleistungsverhältnis zu anderen Fakultäten, sondern die eigenen Studiengänge zu Kunst und Design in den Vordergrund rückt.

2. In der vom Beirat hauptsächlich geleisteten Tätigkeit als Berufungskommission sind eine Reihe hoch angesehener und befähigter Künstler, Designer und Wissenschaftler zur Berufung vorgeschlagen worden und haben diese Berufung als ProfessorInnen erhalten.

3. Es sind Erfahrungen moderner Didaktik eingeflossen, die vor allem den problem- und projektorientierten Unterricht und das exemplarische Lernen betreffen. Sie sind in einer vorläufigen Studienordnung niedergeschrieben.

Hinter diesen Ergebnissen verbergen sich allerdings eine Reihe von Mängeln, die aus dem Einfluß von Dogmen, Vorurteilen und einem konservativen Geist entspringen. Es ist trotz einiger interessanter Gedanken versäumt worden, eine kritische und visionäre Haltung gegenüber dem Zustand unserer Kultur zu bilden und daraus ein ganz zukunftsgemäßes Konzept zu entwickeln.

1. In der Konzentration auf die Berufungsfragen hat es der Gründungsbeirat versäumt, die Konturen einer unverwechselbaren Kunst- und Designausbildung in Weimar zu bestimmen. Er hat außer einigen nonkonfirmistisch klingenden Bonmots keine tiefgründige und kritische Analyse der Problemstellungen von Kunst und Design vorgenommen, er hat aus dem unzulänglichen und fehlgeleiteten Zustand unserer Zivilisation auch keine wirklich innovative Orientierung für den Eintritt der Kultur in das nächste Jahrhundert abgeleitet. Und die Gründer haben auch keine Analyse des konkreten Umfeldes vorgenommen, in das die neue Fakultät hineingesetzt wird: die Geschichte und Struktur der HAB Weimar, die Industrie- und Kulturlandschaft Thüringens, die Profile der benachbarten Kunstschulen (Halle, Leipzig, Dresden).

Solche Diskussionen sind im Gründungsbeirat überhaupt nicht geführt worden. So ist vom Gründungsansatz her eine Fakultät entstanden, die so auch in jeder anderen Region Deutschlands hätte entstehen können. Es fehlt also ein programmatischer Ansatz, der sowohl das lokale Kolorit beschreibt als auch eine weltweite Vision künstlerischer und gestalterischer Kultur ersinnt, wie sie durch Graf Keßler, van de Velde und Gropius in Weimar zur Tradition geworden war. Es fehlt ein zündendes Manifest, das der Neugründung dieser Fakultät im europäischen Raum die nötige Aufmerksamkeit verschafft hätte. Der pragmatische Habitus der Gründung ist so am Wesen dieses Ortes und unserer bewegten Zeit vorbeigegangen. Weder sind die aus Weimar hervorgegangenen programmatischen Ideen (Das „Weimarer Modell“ von Januar/April 1992) aufgenommen und weiterentwickelt worden, noch wurde das im Beirat diskutierte Vorhaben eines oder mehrerer theoretischer Kolloquien in Vorbereitung der Fakultätsgründung realisiert, auf denen diese Zukunftsarbeit hätte geleistet werden können.

2. Die Neugründung einer Kunst- und Designfakultät in einem der neuen Bundesländer hätte das Ost-West-Zusammentreffen thematisieren müssen. Die unterschiedlichen Erfahrungen und Kulturen in den beiden Teilen Deutschlands hätte für die Fakultät ein zusätzliches Entwicklungsmoment eingebracht, wenn es gelungen wäre, diese mit Akzeptanz versehenen Widersprüche produktiv zu machen. Der Beirat hat aber geglaubt, die Effizienz der Ausbildung dadurch zu gewährleisten, dass er nach den Maßstäben des gültigen Kunst- und Designmarktes urteilt. Die wenigstens im Ausbildungsbereich gegebene Chance einer Revision des deformierten Kulturbetriebes ist damit von der Arbeit des Gründungsbeirates her vertan. Dass im Ergebnis der im Beirat ständig dominierenden West-Sicht kein einziger Künstler oder Designer aus den neuen Bundesländern berufen werden konnte, ist nicht nur für diese Bewerber bedauerlich, sondern vor allem für die neue Fakultät, für deren Pluralismus und Kreativität.

3. Das Ausbleiben des geistigen Höhenfluges hätte erwarten lassen, dass die nun auf`s Praktische gelenkte Aufmerksamkeit des Beirates einen gutvorbereiteten Studienbeginn gewährleisten würde. Doch auch hierin weit gefehlt. Trotz 11/2jähriger Vorbereitungszeit standen am Tag der Eröffnung (11. Oktober 1993) außerdem Dekanat nur drei Räume zu Verfügung, an Ausstattungen und Werkstätten (Foto, Video, Computer usw.) fast nichts. Eigentlich ein Skandal, für den vor allem der Gründungsdekan verantwortlich ist. Man könnte den Mangel als schöpferisches Chaos interpretieren und als Freiraum für vielfältige Aktivitäten, als produktives Entdecken von Möglichkeiten usw. doch das hätte eines kongenialen Anstoßes bedurft, der die Lehrer und Studenten der neuen Fakultät in Taumel, mindestens aber in gleichgestimmtes Tun hätte versetzen können. So aber war der Beginn nicht locker, sondern konnte nur ein Bemühen der neuen Mannschaft sein, die Versäumnisse des Beirates auszugleichen. In Wirklichkeit resultierten die völlig mangelhaften organisatorischen und räumlichen Startbedingungen aus einem Kooperationsdefizit in der Arbeit des Gründungsbeirates gegenüber den entsprechenden Gremien der Hochschule. Der konfrontative Gestus, vor allem gegenüber der Fakultät Architektur / Stadt- und Regionalplanung, hat schnelle und einvemehmliche Lösungen verhindert. Er resultiert zu großem Teil aus Vorurteilen, die dem west-östlichen Thema erwachsen und auch in Zeitungsartikeln des Gründungsdekans zu spüren waren, die umso unzutreffender waren, je weiter weg von Weimar die Herausgeber sitzen.

Summarisch lässt sich feststellen, dass das Projekt einer Fernsteuerung aus der räumlichen und geistigen Entfernung Kassels nicht gelungen ist. In den Festreden blind unerwähnt, dass sich für die konzeptionelle und organisatorische Vorarbeit an der HAB im Herbst 1991 das „Institut für Kunst und Design“ gegründet hatte, an dem engagierte junge Leute arbeiteten. Leider hat der Gründungsdekan, von denen einst um Hilfe gebeten, nach seiner Ernennung deren Hilfe brüsk abgelehnt und dafür ein Sekretariat als sein „Brückenkopf“ in Weimar installiert. – Eine merkwürdige Militärstrategie, in der allerdings die allgemeine Unfähigkeit der Deutschen zum Ausdruck kommt, ihr Zusammenwachsen durch die Herausbildung von etwas beiderseitig Neuem positiv zu organisieren.

Meine 2 1/2jährige Tätigkeit für die Gründung der Fakultät Gestaltung war mit vielen Enttäuschungen verbunden. Ich bin froh, dass die Wirren um diese Gründung nun einen Abschluß gefunden haben und eine direkte und konkrete Zusammenarbeit mit meinen Kollegen beginnen kann. Es ist ein neuer Startpunkt gefunden. In den kommenden Wochen und Monaten wird es darauf ankommen, einen Prozess zu initiieren, in dem die neue Fakultät durch vielfältige Formen des Nachdenkens und der gestalterischen Praxis zu ihrem Profil findet. Der große Impetus des Gründungsvorganges ist leider ausgeblieben, nun sollten die Lehrer und Studenten selbst die Chance ergreifen, um die verbliebenen Freiräume mit Impulsen auszufüllen, die der neuen Fakultät ihre Entwicklungsperspektiven verschaffen. Nur in einer wohlverstandenen Originalität unserer merkwürdigen Einrichtung werden wir uns an die visionären Traditionen der Weimarer Kunst- und Designausbildung anschließen können. Ich hoffe das.

18.10.1993

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