Diskussionspapier für die Sitzung des Gründungsbeirates für die Fakultät Kunst (1991)

Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar Fakultät chitektur
Institut für Kunst und Design i. G.
Dr. Olaf Weber

Diskussionspapier
zur 1. Sitzung des Gründungsbeirates der Fakultät Kunst


1. Warum Kunstausbildung in Weimar?

– Weimar hat eine fast 200-jährige Tradition künstlerischer Ausbildung. Diese Traditionslinie begann 1776 mit der Gründung der freien Zeichenschule. Sie erhielt 1860, in der Ära des „Silbernen“ Zeitalter Weimars ihre akademische Form als „Großherzogliche Kunstschule“. Diese als Weimarer Malerschule bekannt gewordene künstlerische Lehranstalt war ein über die Region Weimar hinauswirkender Teil der künstlerischen und kunstpädagogischen Reformbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Stanislaus Graf Kalkreuth, Franz Lenbach, Arnold Böcklin als Lehrer oder Max Liebermann, Joseph Hegenbarth, Max Beckmann, Otto Pankok als Schüler sind einige der Namen, die mit der Weimarer Malerschule verbunden sind. Um die Jahrhundertwende erlangte Weimar Anschluß an die von England ausgehenden Kunsterneuerungsbewegung auf dem Gebiet des Kunstgewerbes. Mit dem belgischen Künstler Henry van de Velde gewann Weimar einen der hervorragendsten Vertreter dieser Richtung. Sein zunächst privates kunstgewerbliches Seminar wurde 1908 in die Großherzogliche sächsische Kunstgewerbeschule überführt und wirkte bahnbrechend für die Entwicklung aller Bereiche der angewandten Kunst und der Kunsttheorie. Die zeitlich parallele Existenz von Kunst- und Kunstgewerbeschule wurde mit der Gründung des Bauhauses und dem Beginn der bedeutendsten Periode kunstpädagogischer Bestrebungen in Weimar in einem neuen Synthesekonzept aufgehoben. Walter Gropius hätte die Bauhäusler nicht unter dem Kunstbegriff, sondern unter dem Begriff „Gestaltung“ zusammengeführt.

Das Bauhaus war ein Kristallisationspunkt vieler avantgardistischer A.ktionen, die mit den Namen von Johannes Itten, Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassili Kandinsky, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer u. a. verbunden sind. Kunst wurde aus der traditionellen Aura in das industrielle Zeitalter entlassen. Kunst und Technik wurden neu definiert und in einen engen Zusammenhang gebracht. Nach dem weltbedeutenden, doch sehr kurzen Zeitalter des Weimarer Bauhauses versank das Niveau der Lehranstalt allmählich trotz des Wirkens einiger bemerkenswerter Künstlerpersönlichkeiten in einen traditionellen und provinziellen Kunstschulbetrieb, der 1951 im Zuge der bautechnischen Neuorientierung der Hochschule ganz aufgegeben wurde. Die Wiedergeburt der Kunst und Designausbildung in Weimar ist somit eine Hinwendung zur historischen Kontinuität.

– Die förderalistische Struktur der Bundesrepublik verpflichtet das Land Thüringen, die Verantwortung für seine kulturelle Identität auch durch die Gründung einer Kunstschule auszuweisen. Die Anzahl der ansässigen Künstler ist gering, der studentische Nachholebedarf in den ostdeutschen Ländern, besonders in Thüringen, ist erheblich. Die angestrebte Kunstausbildung an einer Stätte mit historischer Weltbedeutung könnte ein Impuls dafür sein, das künstlerische Niveau Thüringens aus provinzieller Enge herauszuführen. Im Zusammenwirken mit weiteren künstlerischen Ausbildungsstätten Thüringens könnte Weimar ein geographisches Zentrum neuzeitlicher künstlerischer Kultur bilden.

– Die Eingliederung der HAB in die Hochschullandschaft der Bundesrepublik erfordert ebenso eine Neuorientierung ihres Ausbildungsprofils wie die Harmonisierung dieses Profils mit dem Charakter der Stadt Weimar und. ihres Territoriums. Auch das entwickelte Theater-, Musik-, Kultur- und Geistesleben Weimars verlangt nach einer akademischen Ausbildungsstätte auf dem Sektor der künstlerischen Kultur. Diese Aspekte bedingen die konsequente Stärkung der künstlerisch/gestalterischen Komponenten im Ausbildungsprofil der HAB.

2. Das Profil der HAB und die Kunst

Die HAB ist zur Zeit eine Bauhochschule (Universität des Bauens) mit einen hochentwickelten technischen Zuschnitt. Sie ist ein Unikat, das den hochschulpolitischen Strukturen, wie sie sich in den Altbundesländern herausgebildet haben, nicht entspricht und nach dem Willen des Wissenschaftsrates ihr Ausbildungsprofil verändern soll. Folgende Optionen scheinen gegeben:

  1. Entwicklung zur Technischen Universität. Das würde im Widerspruch zu den historischen Quellen und zum Charakter der Stadt Weimar stehen, die Kunst wäre nicht integrierbar.
  2. Der Schwerpunkt verlagert sich von den technischen Disziplinen weg zur Architektur. Damit wäre neben dem Weiterbestehen der Ingenieurdisziplinen auf der anderen Seite des Spektrums ein organisches Anlagern der Kunst möglich.
  3. Die Entwicklung der HAB zur Kunsthochschule durch den intensiven Aufbau von verschiedenen
    Disziplinen der freien und angewandten Kunst, Architektur eingeschlossen. – Evtl. Zusammenschluß von HAB und der durch Schauspiel, Tanz, Pantomime usw. angereicherten Musikhochschule „Franz Liszt“ zu einer universiellen Hochschule der Künste (ähnlich HdK Berlin). Das wäre der einschneidendste und aufwendigste Entwicklungsschritt.

Die unter Punkt 2. beschriebene Entwicklungslinie der HAB ist die realistischste Variante. Sie baut auf der Nachkriegsentwicklung auf und korrigiert sie zugleich in Richtung der künstlerischen Komponente. Das entspricht auch der Empfehlung des Wissenschaftsrates der Bundesregierung und schließt ein zunehmendes Zusammenwirken der kulturellen Bildungseinrichtungen der Stadt nicht aus, die Entwicklung der Kunst zu multimedialen Gebilden macht dieses Zusammenwachsen zu einem zwingenden Gebot.

Die Korrektur des Bildungsangebotes kann nicht auf dem Wege von dessen einfachen Anreichern durch Kunst im Sinne des Hinzufügens dieser Komponente erreicht werden. Durch Hinzufügen würde ein heterogenes Gemisch ohne sinnvollen Zusammenhang entstehen. Die Entwicklung der künstlerischen Komponente kann nur die Umprofilierung der gesamten Hochschule und aller ihrer Teile bedeuten.
Grundlage eines dieses Ziel verfolgenden Konzeptes sollte das Gleichgewichtsprinzip von Kunst und Technik sein. Zwischen beiden vermittelt die Architektur. Dabei drückt sich die Balance zwischen beiden Polen nicht quantitativ -etwa in Studentenzahlen – aus.

Schema:
links 1: Geisteswiss. (Kulturwiss.)
MItte 1: HAB
rechts 1: Raumplanung u. Städtebau

links 2: Gestalten
mitte2: Entwerfen
rechts 2: Planen, Konstruieren

links 3: freie und angewandte Kunst
mitte 3: Architektur (Hochbau und Innenarchitektur)
rechts 3: Ingenieur- und Technikkomponenten

links 4: Kunst
mitte 4: B a 1 a n c e
rechts 4: Technik

Das Zentrum wird auf diese Weise wieder der Bau sein, und zwar in der Weise, wie er im Programm des Bauhauses angelegt war – als gestalteter Raum. Kunst und Technik vermitteln der Architektenausbildung nicht nur wichtige Momente der Lehre (wie vom Bauhaus), sondern bilden eigene Studiengänge. Dabei wird sich die Technikkomponente über das traditionelle Verständnis vom Bauingenieurwesen hinaus entwickeln und Bestandteile der Materialkunde, des Maschinenbaues und selbstverständlich der Informatik aufnehmen, so daß Kunst und Technik nicht nur über die Architektur, sondern ebenso über verschiedene Formen des Design zusammenfinden. Auf diese Weise ist die Durchdringung von Kunst und Technik ein vorgegebenes Grundprinzip, das schrittweise alle Aspekte der Lehre an der HAB (Hochschule für Kunst und Technik?) durchdringen soll.


3. Kunst dieser Zeit

– Kunst ist ein spezifisches Produktions-, Ausdrucks- und Aneignungssystem, dessen konkrete Funktionsweise von außerkünstlerischen gesellschaftlichen Faktoren bestimmt wird. Das industrielle Zeitalter hat durch die massenhafte Reproduzierbarkeit von Kunst, durch die serielle Fertigung von Gebrauchsgegenständen und durch die Entwicklung der Bildmedien eine neue kulturelle Situation geschaffen. Die Technikimpulse der 20er Jahre haben heute in den elektronischen Medien eine Renaissance erfahren. Die sich auf neue Weise bewegenden Bilder nehmen in den subjektiven Weltaneignungsprozessen eine zentrale Position ein. Die Faszination der Technik kann der Kunst zu einer neuen Popularität verhelfen. Das Verhältnis von „hoher“ oder „elitärer“ zur populären Organisation der Reize ist eines der wichtigsten kulturellen Themen des Industriezeitalters und wird sich im Gefolge der neuen elektronischen Technologien sicher neu formieren.

– Die in den 20er Jahren so bedeutungsvoll erschienene Unterscheidung von „Kunst“ und „Gestaltung“ hat ihre Bedeutung verloren. Sie hatte ihre historische Berechtigung als Instrument zur Befragung des traditionellen Kunstbegriff, den sie nicht mehr akzeptierte. Die Formensprache und die Aura dieser Kunst sind in einem Pluralismus der ästhetischen Konzepte aufgegangen. Die Grenzen von freier Kunst und angewandter Gestaltung sind fließend. Die Vielfalt unvergleichbarer Konzepte hat die Suche nach den Bewertungsmaßstäben von Kunst in das Zentrum kunsttheoretischer Aufmerksamkeit gerückt. Für Jan Hoet ist der „Punkt, an dem Kunst als Kunst erfahren wird“, sogar zentrales Thema der dokumenta 9. Die soziologischen, psychologischen oder politischen Hintergründe werden in seinem Programm künstlerisch nicht thematisiert, doch Gegenreaktionen deuten sich an und haben angesichts der heraufziehenden Problemwolken ( Nord-Süd, Reich-Arm, Technik-Natur usw.) eine aussichtsreiche Berechtigung. Kunst kann nur als Bündelung vom eigenen Wertraum, spezifischer Widerspiegelung, Kompensation und Programmatik verstanden werden.

– Die high-tech-Produktionen moderner Kunst sind sehr kostenaufwendig. Die entsprechenden Apparaturen kosten mehrere 100 000 DM. Der Zugang zu diesen Instrumenten wird zunehmend zu einem Kriterium künstlerischer Potenz. Neben dem Kunstmarkt wird deshalb die Verfügung über die teuren Computer-, Video- und Laserapparaturen die Wirkungsmöglichkeiten eines Künstlers bestimmen. Es wird deshalb wichtig sein, die Kunst-und Medientechnologien durch öffentliche Institutionen zugänglich zu machen. Dabei ist – wie immer – zu sichern, dass sich die Mäzenatenpflicht der Gesellschaft und die Freiheit der Kunst nicht widersprechen. Der Pluralismus weltanschaulicher und künstlerischer Haltungen, die Entwicklung demokratischer Prinzipien und die freie Entfaltung aller schöpferischen Kräfte sind Voraussetzungen einer neuen künstlerischen Kultur. Entwickelte Phantasie und großer Realitätssinn bestimmen gleichermaßen ihre Qualität.

– Dass Kunst lehrbar ist, ist keine Frage. Natürlich sind die Lehrinhalte unterschiedlich fruchtbringend und die Talente sind subjektiv verschieden strukturiert. Das ist nicht anders als beispielsweise beim Lehrerstudium. Umgekehrt ist jeder – wie es uns Beuys vermittelt hat – in seiner Grundsubstanz auch ein Künstler und nur die Koinzidens von ausgeprägtem Talent, dessen Pflege und Ausbildung schafft überragende Persönlichkeiten für die „Künstler“ als Wertbegriff zutrifft. Die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten erfolgt beim Kunststudium in besonderem Maße nach dem Prinzip von Lehrangeboten, die die Studenten entsprechend ihrem individuellen Entwicklungsstand selektieren und für sich beanspruchen, so dass die Studenten ihr Studium als geschützten Freiraum erfahren, der vielfältige Anregungen enthält.

In einer künstlerischen Lehranstalt ist die individuelle Entfaltung der Schüler von oberstem, ihre Prägung durch Lehrerpersönlichkeiten nur von abgeleitetem Wert. Die zu vermittelnden Grundlagen sind sowohl manuell-technischer als euch geistig-kultureller Art und betreffen vor allem die (Um-) Weltaneignung und die Fähigkeit zum künstlerischen Ausdruck.
Die Widersprüche zwischen angesehenen und eigenartigen Lehrerpersönlichkeiten verschaffen den Studenten die dringend benötigten individuellen Freiheitsräume.


4. Eigenheiten der neuen Weimarer Künstlerausbildung

-Die historische Bedeutung Weimars zwingt die neu zu gründende künstlerische Lehranstalt zu einem hohen Anspruch. Dieser „Anspruch“ sollte aber nicht exklusiv oder elitär realisiert werden und er sollte sich nicht unbedingt auf den höchsten technischen Standard, wohl aber auf ein hohes ethisches und ästhetisches Niveau beziehen.

-Mit Traditionen kann man unterschiedlich umgehen. Man kann sie museal konservieren, man kann sie nach eigenen Interessen beliebig plündern und man kann sich auf die ernsthafte Suche nach den entwicklungsträchtigen Ansätzen der Vorgänger machen. Natürlich wollen wir das Letztere. Damit Geschichte nicht die eigene Entwicklung hemmt – indem sie zum Maßstab heutigen Handelns gemacht wird, muss den kontinuierlichen Momenten ein kräftiger innovativer Impuls hinzugefügt werden, der gegenüber der Traditionslinie eine begründete Zäsur erzeugt.

– In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, dass sich gerade die Neugründung (z.B. Karlsruhe und Köln) auf das Vorbild des Weimarer Bauhauses berufen. Umso mehr ist diese Bezugsnahme für die Neugründung der Fakultät Kunst an der Hochschule für Architektur und Bauwesen geboten – nun aber nicht mehr in der bisherigen Orientierung auf die serielle Produktion, sondern auf das Gesamtwerk „Umwelt“, die neuen Medien und. die Totalität der sinnlichen Erfahrungen mit ihnen. Neben dem Avantgardismus und den Synthesebestrebungen des Bauhauses sind die deutsche Aufklärung mit ihrer Bestimmung der Kunst, als moralischer Anstalt zur Beförderung der Humanität und das tiefe Naturverständnis der Weimarer Malerschule wichtige historische Anknüpfungspunkte für das Profil der neuen Fakultät.

Van de Velde brachte in diese Weimarer Traditionslinie das Credo vom Kunstanspruch der gesamten gegenständlichen Umwelt ein. Neben solchen geschichtlichen Orientierungen wird sich selbstverständlich der Inhalt der Weimarer Kunstausbildung durch die Nähe zu den anderen Weimarer Institutionen der Kultur (besonders zu den NFG, dem Nationaltheater und der Musikhochschule) und durch den Wirkungszusammenhang zu den anderen Fakultäten der HAB entwickeln.
Alle diese historischen und aktuellen Bezüge sollen der Fakultät Kunst an der HAB ein spezifisches Gepräge verleihen und ein hohes Ausbildungsniveau sichern. Eine solche Besonderheit ist auch Voraussetzung dafür, dass sich Weimar in der Konkurrenz internationaler Kunstschulen behaupten kann. Die teils historischen, teils aus den Erfordernissen der Gegenwart erwachsenen Eigenheiten könnten sich in Weimar zu folgenden Profillinien verdichten:

Die widersprüchliche Einheit von Kunst und Technik
Die Bauhaus-These von der „neuen Einheit“ Kunst und Technik sollte kritisch hinterfragt und neu interpretiert werden. Ein globales Verständnis von den quantitativen Grenzen des Wachstums legt den technischen Mitteln das Kriterium der Kultur- und Umweltverträglichkeit an. Die Technikbeziehungen der Kunst reichen von einem möglichen Neo-Konstruktivismus bis zu den elektronisch modifizierten Kunstproduktionen (Computermalerei),
multimediale Skulptur usw.). Es sollte ein verträgliches Zusammenwirken von handgemachter Kreativität und high-tech-Komponenten angestrebt werden.

Der erweiterte (mediale) Kunstbegriff
Das Spektrum der künstlerischen Sprachen unserer Zeit erweitert sich ständig, Verbindlichkeit und
Vermittlungsfähigkeit hingegen nehmen ab. Neue kommunikative Strukturen und Transformationskanäle werden entwickelt, doch die vermittelten Botschaften reduzieren sich auf ästhetische Werte. Der Kunstbegriff ist sehr weit und zugleich sehr eng. Der mediale Charakter der Kunst verlangt die Einbeziehung des Publikums. Kunst sollte dem Konsumenten als Anstalt zur Beförderung der Humanität (Goethe) erscheinen.(Kunst sollte sich sowohl am Kunstmarkt wie an der Wirklichkeit reiben. Ihr medialer Charakter verlangt die Einbeziehung des Publikums. Sie sollte dem Kunstkonsumenten dazu verhelfen, ein adäquates Verhältnis zur Wirklichkeit zu finden, und sie sollte als Anstalt zur Beförderung der Humanität (Goethe) wirken.) Kunstausbildung sollte Arbeit an den Formen in Bezug auf Inhalte sein. Dogmatische Lehrkonzepte und eine normative Ästhetik sollten durch organisierte Widersprüche in den Persönlichkeitsstrukturen der Lehrenden und durch das Primat des pluralistischen Prinzips vermieden werden. Damit Pluralismus nicht „Beliebigkeit“ oder „Entrücktheit“ bedeutet, sollten Studienformen gefunden werden (z. B. Praktika), die die angehenden Künstler mit der Realität des gesellschaftlichen Umfeldes und den künstlerischen Bedürfnissen des Publikums verbinden.

Der Raum ist wichtigster Ausdrucksträger
Die Nähe zur Architekturausbildung rückt den Raum in das Zentrum der künstlerischen Ausbildung. Raumelemente und ihre Verhältnisse sind spezifische Träger ästhetischer Botschaften. Zusammen mit den plastischen Figuren und der Lichtgestaltung bilden sie Animation für visuelle und taktile Kommunikation. Die Gestaltung des Raumes kann von relativ zweckfreier Kunst (Environment, multimediale Skulptur) zum stärker zweckbestimmten Design reichen (Ausstellungs- und Bühnengestaltung). Eine besondere Geltung künstlerischen Ausdrucks entsteht durch die Ergänzung des Räumlichen durch den Faktor „Bewegung“ (Gestik, Tanz – vgl. Schlemmers „Triadisches Ballett“) und durch den Handlungsaspekt ( theatralische Szenarien, soziale Aktionskunst, Happening, Performance). Das Naturräumliche wird zur ökologischen Garten- und Landschaftskunst hin ästhetisiert.

Bevorzugung hybrischer Formen freier und angewandter Kunst
Die gegenseitige Entfremdung von zweckfreier und zweckgebundener Kunst sollte zugunsten eines potenten Zwischenbereiches aufgehoben werden, in dem „angewandte“ Kunst ihre künstlerische Aussagefähigkeit weit über das ursprünglich zugebilligte Maß hinaustreibt und in dem sich die „freie“ Kunst einer sozialen, ökologischen und kulturellen Funktionalisierung nicht verschließt. Alle Ebenen möglicher materieller oder geistiger Utilität sollten sich in diesem Zentrum berühren.

Die interdisziplinäre Arbeit fördern
Der Ort künstlerischer Inspiration ist das Individuum. Es soll im Interesse „hybrider“ Ergebnisse zu Interaktionen mit Studenten benachbarter Disziplinen befähigt und ermuntert werden. In den Grenzbereichen künstlerischer Sprachen ist das größte kreative Potential verborgen. Die funktionale Besitznahme des Mediums „Kunst“ ist ohne Gemeinschaftssinn nicht denkbar. Er sollte in die Fakultät durch die respektvolle Förderung der Persönlichkeit und durch geselliges und experimentierfreudiges Zusammenleben gefördert werden. Auch hierin sind Vorbilder am Bauhaus zur Hand ( vgl. die berühmten „Bauhausfeste“).

5. Das Lehrkonzept

Prinzipien:
– Das Studienprogramm sollte extrem offen sein. Die Immatrikulation erfolgt nicht für ein bestimmtes Fach (z. B. Malerei oder Szenografie), sondern für „Kunst“ als allgemeines Studium der bildnerischen Künste. Die Orientierung auf ein bzw. zwei spezifische künstlerische Medien erfolgt erst im Verlaufe des Hauptstudiums. Der Zeitpunkt einer Spezialisierung wird ebenfalls von den Studenten selbst gewählt, so daSS auch das an Universität oder an Studienintensität in einem Bereich den Interessen und Anlagen der Studenten überlassen bleibt.
– Pflichtfächer sind im Grundstudium das Naturstudium, die theoretischen Fächer und die gestalterische Grundlehre. In die angebotenen Kunstgenres führen „Schnupperkurse“ ein. Im Hauptstudium legen die Studenten die Proportionen der Lehrinhalte von Semester zu Semester selbst fest. Das Studium führt zu einem Diplom- Abschluß (Dipl.-Künstler). Die Regelstudienzeit beträgt 10 Semester. einschliesslich eine Praktikumszeit von 6 Monaten, in der ein orts- und adressatenbezogenes Projekt erarbeitet wird. Die Diplombearbeitungszeit ist in der Regelstudienzeit inbegriffen.
Trotz des individuellen Charakters des Studiums werden drei Studienorientierungen angeboten, die jeweils aus einer freien (A) und einer angewandten (B) Komponente bestehen.

Malerei/Grafik
A: freie Malerei und Grafik
B: Grafikdesign, Gebrauchsgrafik

Raumkunst
A: Rauminstallation, Environment
B: Szenografie (Ausstellungsdesign, Bühnengestaltung)
C: Die Zeit-Dimension: Aktionskunst, Performance, Video

Objektkunst
A: Bildhauerei, multimediale Skulptur
B: Kommunal-, Umwelt- und Kulturdesign

Eine vom Material ausgehende Spezifizierung der Ausbildung (z. B. Metallgestaltung, Holz- oder Textilgestaltung) sollte nicht erfolgen, obwohl mit diesen Materialien selbstverständlich gearbeitet wird. Diese Form der „angewandten Kunst“ (Kunsthandwerk) ist in dem Gesamtkonzept multimedialer Kunstproduktion aufgehoben. Die Werkstätten haben Dienstleistungscharakter und stehen allen Lehrern und Schülern im Rahmen einer Benutzerordnung zur Verfügung.
Es ist vorgesehen, vier Werkstattkomplexe aufzubauen:

  • Grafikwerkstatt (Druckgrafik, Fotografik)
  • Medien- u. Computerwerkstatt (Video)
  • Raumlabor (Holografie/Laser, Studiotheater)
  • Materialwerkstätten (Stein, Glas, Holz, Metall)

– Die Berufsfähigkeit der Absolventen ist durch die universelle künstlerische Ausbildung relativ hoch. Es sollte aber weiterhin überprüft werden, ob den künftigen Künstlern während des Studiums ein zusätzliches „Standbein“ angeboten werden kann. Folgende Möglichkeiten sollten darauhin untersucht werden:
– Erweiterung der künstlerischen Universalität durch Kombinationsstudium mit der Musikhochschule Weimar (optisch-akustische Medien).
– Ausbildung zum Kulturmanager, Kombination des Kunstverständnisses mit Betriebswirtschaft und marketing
– Kunsterzieher-Ausbildung Lehramtsstudiengang in Verbindung mit Uni Jena (Erziehungswissenschaft und Kunstgeschichte in Jena)
– Studiengang der Kunst- und Medientheorie an der HAB (im Haupt- und Nebenfach.)
– Erweiterung der Theoriekomponente der Fakultät Kunst und deren Zusammenführung mit dem Lehrfach Architektur- und Kulturtheorie, evtl. auch Musiktheorie der Hochschule „Franz Liszt“.
– Für die Zulassung zum Studium reichen die Bewerber Unterlagen ein, die u. a. aus eigenen Arbeiten und einer Bewerbungsbegründung bestehen. Eine Zulassungskommission führt eine Eignungsprüfung und ein Bewerbungsgespräch durch. Es sollen im ersten Jahr 20 Studenten immatrikuliert werden.


6. Fächerkanon Stellenplan

Kommunikations- und Kunsttheorie: 1 Prof.
Grundlagen der Gestaltung: 1 Prof
Naturstudium u. künstlerische Anatomie: 1 Prof
Malerei und Grafik: 2 Prof
Grafikdesign: 1 Prof
Environment/Lichtgestaltung: 1 Prof
Bühnenbild / Ausstellungsgestaltung: 1 Prof
Video: 1 Prof
Plastik / multimediale Skulptur: 1 Prof
Kommunal- und Kulturdesign: 1 Prof
Assistenten
Werkstattmeister

Bei Einführung des Studienganges Kunst- und Medientheorie ist eine Ergänzung des Stellenplanes durch zwei Lehrstühle (Kunstgeschichte und Philosophie/Ästhetik) erforderlich.

7. Zeitplan

Der Studiengang Kunst und Design soll mit dem Wintersemester 1992 eröffnet werden. Auf diesen Termin hin sind abzustimmen :

  • Erstellung der Finanzierungsgrundlage und Beantragung des Studienganges beim Ministerium für Wissenschaft und Kunst des Landes Thüringen
  • Einrichtung der Werkstätten und Labors sowie Schaffung der räumlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit der Fakultät (Ateliers, Seminarräume, Arbeitszimmer)
  • Ausschreibung der Lehrstühle der Assistentenstellen und Lehrbeauftragten sowie Berufung der Professoren
  • Durchführung der Eignungsprüfungen und der Bewerbungsgespräche

Die Fakultät Kunst und Design sollte am 1. September 1992 gegründet werden.

Dr. Olaf Weber
Leiter des Instituts für Kunst und Design i. G.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert