Eigenheimbau (1984)

Eine Kritik am Eigenheimbau, der mit einem Anteil von 10% des Wohnungsbaues nur eine Kapazitätsreserve darstellte, ansonsten aber den Klischees des tradierten Einfamilienhauses und des Plattenbaues folgt. Er hätte dagegen ein ästhetisches und partizipatorisches Experimentierfeld sein können.

Olaf Weber
Eigenheimbau – oder Anmerkungen dazu was er sein sollte

Der Eigenheimbau hat bisher beides nicht erfüllt: Er hat weder das zur Ausprägung gebracht, was für den Sozialismus am Eigenheimbau typisch sein könnte, noch ist er als Experimentierfeld genutzt worden, auf dem großtechnisch noch nicht mögliche Lösungen ausprobiert werden.

Eben das müsste er aber vor allem sein: Experimentierfeld von Lebensweise, Formen der Bauorganisation und technischen Lösungen, ein Beitrag zur Entwicklung unserer Baukultur. Auf diese Weise könnten die Privilegien, die die Eigenheimbauer in Form von Bauland, Krediten und anderen Unterstützungen erhalten, eine tragende gesellschaftliche Funktion bekommen, also in Form von Innovationen für das Bauwesen auch den Nicht-Eigenheimbauern zugute kommen. Stattdessen ist das Eigenheimbauen zum allgemeinen Wurschteln herabgesunken, dessen Ergebnisse mehr nach hinten als nach vorn verweisen – historisch gemeint.

Vielleicht liegt das auch an der unscharfen begrifflichen (und begriffenen) Zielstellung, denn der Eigenheimbau ist weder durch das zu bestimmen, was der Name meint, nämlich das privateigentümliche Verhältnis der Nutzer zum Haus, noch durch das, was baupolitisch als Begründung für die Eigenheiminitiative gilt, nämlich die Erschließung brachliegender Reserven für den Wohnungsbau.

Das erste ist er nicht, weil das Eigentumsverhältnis als bestimmender Faktor angesichts der großzügigen Bedingungen in der Kreditfinanzierung (die Rückzahlungen betragen kaum mehr als eine entsprechende Miete) und aufgrund der kommunalen und betrieblichen Unterstützung vielfältiger Art und auch der zentralen und örtlichen Auflagen keine wesentliche Rolle spielt. Diese vielfältigen Bindungen beweisen, dass der Eigenheimbau ein gesellschaftliches und kein privates Ereignis ist.

Er ist aber auch nicht einfach Ergänzung des Massenwohnungsbaues, durch die sich die Gesellschaft ihre Arbeitskraft- und Materialreserven erschließt. Das Ausmaß des Eigenheimbaues – bekanntlich 10 – 15 % des gesamten Wohnungsbaues – lässt seine Deutung als Ergänzung und Reserve, als zusätzliches schon lange nicht mehr zu. Er ist eine spezifische Bau- und Wohnform, für die klare Kriterien und Zielstellungen gebildet werden müssen. Die Vorstellung von Eigenheimbau als Reserve hat uns in der Vergangenheit daran gehindert, seine wesentlichen Bedingungen, Entwicklungsperspektiven und Spezifika zu erkennen. Das sollte unbedingt nachgeholt werden. Im Folgenden will ich einige Bemerkungen über die Zielrichtung machen, in der ich mir dieses Nachdenken vorstelle.

Eigenheime werden größtenteils handwerklich gefertigt. Man könnte darin ein „Noch nicht“ sehen, noch nicht industriell, zurückgeblieben, dem Massenwohnungsbau nachhinkend, aber man könnte darin auch positiv ein Moment von Bauen überhaupt sehen, von Selbstgestaltung der räumlichen Umwelt als Moment der polytechnischen Entfaltung des Individuums und als besondere – architektonische – Form der künstlerischen Selbstbestätigung. Natürlich ist es gerade das in den allermeisten Fällen nicht, aber wir sollten überlegen, welche Bedingungen herrschen müssen, damit Handgemachtes mit industriell Produziertem eine neue Einheit bilden kann. Auch im Massenwohnungsbau muss die Einwirkungsmöglichkeit des Bewohners auf seine Umwelt künftig sehr viel weiter gehen als bis zur (teilweise illegalen) Tapezierung und Bemalung der (Loggien-) Wände.

Eine wesentliche Entwicklungsrichtung des Eigenheimbaues wäre es meiner Meinung nach, neue Formen des Ineinandergreifens von massenhafter industrieller Vorfertigung und individueller handwerklicher Zusammenstellung und Komplettierung aufzuzeigen. Maschinen- und Handarbeit, Vorgefertigtes und am Ort Produziertes muss eine neue Einheit bilden, die die beiden Seiten des Bauens aufeinander bezieht und harmonisiert. Mischbauweisen können im Eigenheimbau erprobt werden. Die Einbeziehung des Handwerklichen in das Bauen sollten wir nicht als pragmatisches Manövrieren missverstehen, sondern trotz aller weiteren Industrialisierung als eine in alle Zukunft hineinreichende Haltung zum Bauen …

Fertigteilhäuser sind eigentlich völlig dem Eigenheimbau sinnwidrig. Wenn der Eigenheimbauer sein Haus nicht selbst bezahlt (siehe oben) und auch keinen eigenen Anteil an der Konzeption und am Bauprozess hat, dann ist das, was ihn vom Bewohner des Massenwohnungsbaues unterscheidet, der Besitz einiger Privilegien, wie vergrößertes Bauvolumen, wie Nebenräume und enge Beziehung zur Natur und Landschaft. In diesem Falle wäre Eigenheimbau nichts anderes als kleinteiliges, naturverbundenes Bauen, gegen das ich hier gar nichts Negatives vorbringen will – außer, dass das kein Eigenheimbau ist. Es enthielte lediglich ein Bündel von positiven Eigenschaften, das in unterschiedlicher Ausprägung (je nach Interessenlage des Mieters) allgemein ist. Die Frage ist auch hier, wie diese Eigenschaften sukzessive in den Massenwohnungsbau übertragen werden können, wie also auch dort Naturverbundenheit, funktionelle Disponibilität und Variabilität usw. entwickelt werden können. Eigenheimbau beinhaltet das alles, aber als Ergebnis der Initiative, der konzeptionellen, organisatorischen und praktischen Anstrengungen des Bauwilligen, als deren materielles Substrat sein eigenes Zuhause entsteht, nicht als das fertige, nur geteilt gelieferte Fertigteilhaus.

Typen in Form von Angebotsprojekten, die handwerklich verwirklicht werden, leiden unter der Paradoxie, dass der Entwurf unter Berufung auf die Baupraxis Einschränkungen vornimmt, die viel enger sind, als die handwerkliche Produktivität selbst. Das schon fertig Gedachte ist oftmals nur das Bequeme: Im Geistigen wird gespart, das in der Bausausführung gern verpulvert wird… Aber es gibt natürlich gute Gründe für die Verwendung von Angebotsprojekten, sie müssen nur von Fall zu Fall sehr genau auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Zum Beispiel zeigt die Praxis, dass im Ergebnis städtebaulicher Vorhaben in Form von Gebäudestandards und deren folgenden trickreichen Umgehungen zum Schluss weder im Stadtbild noch dem Selbstdarstellungsbedürfnis der Bewohner gerecht geworden ist. Fachliche Beratung ist meist besser als das Vorlegen fertiger Angebote und Auflagen.

Wir haben z.Z. den Zustand, dass es viele Typenprojekte gibt, die abgesehen davon, dass sie dem Bauwilligen keineswegs zur Auswahl stehen, den Nachteil haben, auf ein einziges finalisiertes Produkt ausgerichtet zu sein. Wir sollten lieber die Typen beschränken und dafür ihre Variabilität erhöhen.

Das Argument, durch „Typenprojekte“ Projektierungskapazität einzusparen, kann richtig sein, es kann aber auch eine billige Scheinargumentation sein, dort nämlich, wo die Bedingungen des Ortes und der Bedürfnisse ein differenziertes Eingehen auf diese Fakten erfordern würde, denn niemals darf die geistige Durchdringung einer Bauaufgabe in Frage gestellt sein und auch bei Reihenhäusern, die ja immer einem Typ angehören, muss noch eine intensive konzeptionelle Auseinandersetzung über die konkrete Lösung möglich sein. Voraussetzung für eine variable Typisierung wäre es, moderne Verfahren der Material- und Kostenplanung zu verwirklichen (Elektronische Rechner auch beim Eigenheimbau). Damit könnten wir an der richtigen Stelle der Projektierung einsparen: nicht bei der schöpferischen, sondern bei der mechanischen geistigen Tätigkeit.

Auflagen sind am effektivsten im materiellen Bereich zu erteilen, als plantechnische Normative z.B. des Materialeinsatzes, der technologischen Grundsatzentscheidung, des Bauaufwandes (Kosten). Ein Großteil der auch ästhetisch wirksamen Faktoren ist damit festgelegt. Darüber hinaus lassen sich einige stadtbildprägende Merkmale verordnen, wie First- und Traufhöhen, Geschossigkeit, Dachausbildung. Das sollte auch weiterhin getan werden, nur ist damit der milieuprägende Charakter des Gebäudes, sein eigentlicher Ausdruckswert, nicht festgelegt. Den gibt der Bauherr durch das schmiedeeiserne Geländer, die Travertinriemchenleibung, die versetzten Kacheln, das bunte Glas, den betonierten Vorgarten, die Laterne und das Wagenrad hinzu. Das sind die eigentlichen Ausdrucksträger, auf die aber der Stadt- oder Kreisarchitekt kaum Einfluss nehmen kann. Das sind die milieubestimmenden Gestaltungsmittel, dass weiß vor allem der Eigenheimbauer, der auf diesem Gebiet eine ungeahnte Gestaltungswut entwickelt.

Was ist es eigentlich, das er damit ausdrückt? Reichtum und Macht – die ästhetischen Inhalte der bürgerlichen Villa des 19. Jahrhunderts – sind nicht mehr die Ausdruckswerte des Einfamilienhauses, aber sind es schon sozialistische Individualität, entwickelte Persönlichkeit, soziale Beziehungsvielfalt der Familie? Kommt im Eigenheimbau schon zum Ausdruck, was sich in Richtung der allgemeinen Emanzipation des Menschen bewegt? Oder hat sich dort nicht nur der Ausdruck von Besitz und Reichtum in den von „Beziehungen“ und Organisationstalent umgewandelt? Der Meyer hat es eben geschafft, Travertinriemchen und farbige Glasbausteine zu besorgen, während Schulze nur seine guten Beziehungen zum Schwager, der schmiedeeiserne Laternen besorgen kann, in (scheinbare) Individualität ummünzen kann. Auf dies Weise kommt nicht der wirkliche funktionelle Wert eines Stoffes zum Ausdruck, sondern seine Beschaffbarkeit. Der Mangel schafft ein ähnlich chaotisches Erscheinungsbild wie der ungesteuerte Überfluss. Architekten können dabei nur vermittelnd eingreifen, sie sollten aber wissen, dass zum ästhetischen Gebrauch der Materialien gehört, dass Sensibilität für ihren funktionellen Wert entwickelt wird, sie sollten geduldig die Bildung dieser Empfindsamkeit (auch bei sich selbst) fördern. Der Eigenheimbau, anstatt diese Sensibilität zu entwickeln, hat seinen gehörigen Anteil an der Verwilderung unserer visuellen Kultur. Aber immerhin – das Beste am Eigenheimbauer ist, dass er keine Datsche baut.

Aber hier soll nicht am Geschmack der Eigen(heim)bauer herumgemeckert werden. Die Architekten bilden den Berufsstand, der unmittelbar für die Qualität der baulichen Umwelt verantwortlich ist. Wo geben aber Architekten Anregungen dazu, wie Eigenheimbauer ihre Individualität in originelle räumliche Lösungen überführen können, wie sie technische Experimente realisieren können – etwa einfache Formen der Speicherung von Sonnenwärme oder des Sonnenschutzes? Wo werden die Eigenheimbauer angeregt, Recycling-Materialien zu verwenden und ihr eigenes Haus veränderbar und ihre Materialien wieder verwendungsfähig zu machen. Wo werden kollektive Eigenheimbauer über technische Realisierungsmöglichkeiten für Kleinserien von Bau- und Ausstattungselementen unterrichtet? Wo werden also Eigenheimbauer von Architekten dahingehend orientiert, den Willen zur Individualität in brauchbare Innovationen umzumünzen, anstatt ihn zur Anreicherung der Travertinriemchenkultur zu verschwenden? Vielleicht gibt es hier und dort solche Beispiele, ich kenne nur einige Experimentalsituationen bei den eigenen Wohnhäusern einiger Architekten (der Koll. Dr. Rogge und Burhenne in Weimar).

Die Entwicklungen, die sich neuerdings im Reihenhausbau und im „innerstädtischen“ Eigenheimbau abzeichnen, geben Anlass zur Hoffnung – vorausgesetzt, diese Aufgaben werden wirklich inhaltserfüllt, also der Reihenhausbau wird zum Ausdruck einer wirklich existenten Gemeinschaftlichkeit und das innerstädtische Eigenheim ist geeignet, den neuerdings zwar viel besprochenen, aber wichtigen “genius loci“, den Geist des Ortes, zu beleben und zu entwickeln. Bisher aber und im Allgemeinen gingen vom Eigenheimbau keine Impulse für das Bauwesen aus, die es lohnte aufzunehmen. Es ist schade, dass Freiräume, die sich im strengen Reglemtierungsgefüge des Bauwesens auftun, nicht anders ausgefüllt wurden als mit toten Konventionen. Schade nicht nur für den Eigenheimbau.

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