Über das Geistige in der Architektur

Die Transkription des Bauhauses in ein Museum

von Olaf Weber

Ein Gebäude besteht neben Stein, Holz, Stahl und Glas auch aus rhetorischen Figuren. Wenngleich die Häuser massiv und dauerhaft sind, so ist doch Architektur vor allem etwas Labiles und Immaterielles. Ein Haus kann zu uns sprechen. Und wir können das zu Stein gewordene Geistvolle genießen und wiederum interpretieren.

Das geht so weit, dass die massiven Balken und Pfeiler, Treppen und Kellergewölbe verhindern müssen, dass schöne Architektur zur Poesie wird. Die Stadt ist ein Text, der in seiner Omnipräsenz einen vergänglichen Raum in einer unnatürlichen Sprache artikuliert. Schauen wir uns an, welchen Text das Bauhaus-Museum spricht.

Realität. Die ästhetischen Beschlüsse der Architekten sind oft isoliert, fremdbestimmt und marginalisiert. So hat nicht die Architektin Heike Hanada, sondern haben die Beschlüsse der Finanzausschüsse, die Autoren diverser Rechnungen und Paragraphen, natürlich auch eine Jury und die herrschende Baukultur und vor allem der geistig-kulturelle Zustand Weimars die Fundamente des Bauwerkes gelegt.

Vor diesem Anspruch und Hintergrund betrachten wir nun die Ideengeschichte des neuen Bauhaus-Museums in Weimar, zunächst durch einen kurzen Rückblick auf die Geschichte einer langwierigen Planung, wobei leider ein permanenter Mangel an konzeptionellem Vorlauf auffällt. 

Verortung. Seit der Wiedervereinigung war klar, dass Weimar ein (neues) Bauhaus-Museum braucht. Als aber plötzlich (20 Jahre danach) eine Finanzspritze aus Berlin kam, traf diese die Stadt, die Klassik-Stiftung und die Bauhaus-Universität völlig unvorbereitet. Danach wurde fast ausschließlich über einen möglichen Standort diskutiert.

Am Gründungsort hatte die Uni keine Reservefläche für das Museum bereit gehalten, so dass abstruse Vorschläge aufkamen, zum Beispiel die inzwischen unter Denkmalschutz stehende DDR-Mensa abzureißen oder dem Museum für das Staatliche Bauhaus ein teilprivatisiertes Museum am Hotel „Elephant“ zu verordnen (Public-Private-Partnership). Die Klassik-Stiftung als künftiger Nutzer wollte einen zentralen Ort am Zeughof, damit die Besucher beim Stadtrundgang das Bauhaus-Museum auf keinen Fall verfehlen. Der Stadtrat favorisierte aber im Interesse des Stadtganzen einen Standort abseits der klassischen Zentren. Damit wurde der Überkonzentration des Tourismus auf das mittelalterliche Stadtzentrum durch ein Ausweichen auf seinen Rand klug entgegen gewirkt.

Das bedeutete, dass die Gestalt des Neubaus nicht mehr dem ästhetischen Anpassungsdruck des historischen Kontextes ausgesetzt war. Nun war die Gestalt des künftigen Museums wieder offen. Doch am Rande des Weimarhallenparkes wurde das Wesentliche des Standortes offenbar: Das Bauhaus-Museum musste eine Antwort auf die politisch herausfordernde Sprache des „Gauforums“ finden.

Das Geistige. Nun stellte sich heraus, was nicht stattgefunden hatte. Es fehlte eine ausführliche Diskussion um den Sinn eines solchen Museums, um  den geistigen Gehalt des Bauwerkes, um den Typus, um die Symbolkraft, um Ausdruck und Wirkung des neuen Gebäudes. Die Frage nach dem architektonischen Typus hätte die Diskussion belebt und bewirkt, dass der Geist des Bauhauses oder seiner Neugeburt doch noch Gegenstand des architektonischen Diskurses geworden wäre.

Der Bauherr hatte seine Vorstellung vom Museum und sein ästhetisches Credo nur ungenügend definiert. Im Ergebnis eines Wettbewerbes von 2011/12 wurden 536 Entwürfe aus aller Welt eingereicht, die in den meisten Fällen dem Text der Ausschreibung folgten, aber wenig dem Anspruch des Bauhauses entsprachen.

Sollte der Neubau ein möglichst unspektakulärer Sachbau werden, sollte er in seinem Habitus an die Moderne der 20er Jahre erinnern, sollte er unsere heutige Zeit ausdrücken oder gar einen Blick in die Zukunft wagen, wie es seinerzeit das Bauhaus versuchte? Letzteres hätte eine Diskussion über den Avantgardismus heute oder über die Zukunft in unserer Gegenwart erfordert. Es hätte eine Transkription des Bauhaus-Experiments in eine gegenwärtige Utopie bedeutet. Das waren offene und unbeantwortete Fragen an Weimar.

Die Ästhetik. Das Bauhaus verstehen heißt, das Bauhaus neu denken. Gropius hatte damals die erreichbaren progressiven Tendenzen seiner Zeit aufgegriffen und ihnen ein Programm und einen Namen gegeben: Bauhaus. Das Bauhaus wollte den Schwulst der Kaiserzeit durch eine sachliche Gestaltung vernichten. Aber die Reduktion auf elementares Gestalten war nur der Anfang, Ziel war der Aufbau einer neuen Grammatik, einer neuen architektonischen Formensprache. Dieser Versuch war aus historischen Gründen abgebrochen und nie wieder im Geiste des Bauhauses aufgenommen worden. Heute wäre das Bauhaus natürlich allen technischen Neuerungen offen. Es würde mit dem digitalen Potential experimentieren und neue ästhetische Körper, Räume und Oberflächen produzieren. Der „White cube“ war lediglich eine Folie, in der sich die Experimente spiegeln konnten.

Öffentlicher Disput und Mitbestimmungsmodelle. Die Demokratisierung der Gesellschaft war 1919 in eine neue Phase getreten, in die Weimarer Republik. Am Bauhaus wirkte sich die Novemberrevolution von 1918 durch eine soziale und internationalistische, auch weibliche Orientierung aus, aber noch nicht durch eine breite Demokratisierung des Produktionsprozesses von Architektur und Design. Direkte Demokratie und Mitbestimmungsmodelle spielten damals keine Rolle, sie wären aber heute in der Planung eines Museums dieser Avantgarde unbedingt nötig gewesen, damit zunächst ein historisches und philosophisches Modell, später ein architektonischer und künstlerischer Entwurf hätte gelingen können.

Der ökologische Aspekt. Bei Gründung des Bauhauses schien das Verhältnis des Menschen zur Natur noch in Ordnung zu sein. Die natürlichen Formen sollten damals mit den Abstraktionen der Artefakte vor allem eine ästhetische Balance bilden. Es ist keine Spekulation zu behaupten, dass das Bauhaus heute ein Ort des ökologischen Radikalismus wäre. Es wäre deshalb eine selbstverständliche Vorgabe gewesen, den Erinnerungsort an diese Avantgarde als Null-Energie-Haus zu konzipieren. 

Der politische Standort. Das Bauhaus wurde schon bald nach der Gründung von einer kleinbürgerlichen Schicht mit volkskonservativen und nationalistischen Parolen vertrieben. Die Rolle einer Avantgarde für das immer wieder sich erneuernde Weimar wurde von diesen Kräften völlig verkannt. Aus diesem Denkraum könnte der Eindruck entstehen, dass das Bauhaus nach einem Alterungsprozess von 100 Jahren endlich nach Weimar zurückkehren darf – nun aber als Wirtschaftsfaktor der Tourismusbranche. Diesem Eindruck muss durch anhaltende Akte der Wiedergutmachung entgegengewirkt werden.

Der Standort des neuen Bauhaus-Museums verortet den historischen Kontrast zum Nationalsozialismus unmittelbar. Das Museum befindet sich in direkter Nachbarschaft zur autoritären Herrschaftsarchitektur des „Gauforums“. Aus dieser Nähe entstand die Notwendigkeit, den historischen Sieg der Moderne über die NS-Architektur ästhetisch zu interpretieren – die vielleicht schwierigste Herausforderung des Standortes. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Resümee. Konnte man erwarten, dass ein Museum, das 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses geplant und diesem gewidmet ist, das Bauhaus quasi in seine Zukunft, also in unsere Gegenwart hinein fortsetzt? Ja, es wäre möglich gewesen und das Bauhaus verlangt aus meiner Sicht nach einer experimentellen Architektur als Hülle für seine avantgardistischen Ideen und Relikte.

Aber die von Staat, Stadt und Stiftung gebildeten Voraussetzungen für ein Bauhaus-Museum waren trotz rasanter globaler Umbrüche eher konservativ. Die Architektin hat einen soliden Entwurf geliefert, dessen Reize und Qualitäten wahrscheinlich in der inneren Raumgestaltung liegen. Die ausgestellten Zeugnisse programmatischer Ideen und 100-jähriger Erfindungen dominieren aber klar über die bauliche Hülle, die aus einem sauberen Baukörper mit einer schönen Schriftbanderole und einem postmodernen Portal besteht.

Weimar ist um eine Attraktion reicher. Aber der Entwurf für einen so hohen Zweck hätte Weimars kulturelle Tradition und seinen Erneuerungswillen herausfordern müssen. Um das zu verdeutlichen, will ich doch einmal – entgegen allen Gepflogenheiten – das Urteil der Jury ignorieren und auf einen vergessenen Entwurf zurückschauen, der die Gelegenheit bietet, über Architektur in einer Höhe zu philosophieren, der unserem Thema angemessen wäre.

Es ist der Wettbewerbsbeitrag von Zaha Hadid, einer weltbekannten und hoch dekorierten Architektin. Ich greife ihn heraus, weil er das Bauen der 20er Jahre technisch und ästhetisch weit übersteigt und zugleich zur Nazi-Architektur den größtmöglichen Abstand hat. Deshalb könnte er am besten ausdrücken, was Avantgarde an diesem Standort bedeutet. Ihre Arbeit hat wenig Beachtung gefunden, obwohl ihr radikal-moderner Entwurf den stärksten Ausdruckswert besitzt und in seinem spielerischen Habitus eine doppelte Innovation enthält. Es ist die freieste Avance an das Bauhaus und zugleich die kühlste Absage an den Bierernst des benachbarten monströsen „Gauforums“. Hadids Entwurf dominiert über das Gauforum nicht durch Höhe, sondern durch den größtmöglichen Kontrast zu ihm: durch Heiterkeit und Lebendigkeit. Eine allseitig gewölbte und fließende (parametrische) Kunstform mit ökologisch interessanten Lichtschächten – vielleicht gepaart mit den optisch-kinetischen Apparaten des ungarischen Bauhäuslers Moholy-Nagy. Und dieser Entwurf hätte vielleicht nach erneuter Überarbeitung im Dialog mit dem Geist von Gropius einen Bilbao-Effekt haben können, also zur exklusiven Hülle für einen exklusiven Inhalt werden können.

Nach dem offiziellem Wettbewerb und dem fehlenden 1. Preis gab es in Weimar noch einen bemerkenswerten Impuls: Ein Volkswettbewerb zum Bauhaus-Museum und ein diesbezüglicher Aufruf: „Die Ideen sind frei. Ein Manifest für die Stadt“. Innerhalb von 10 Tagen wurden aus der Bevölkerung 25 unkonventionelle Ideen für ein Bauhaus-Museum eingereicht. Es zeigte sich, dass so genannte Laien erstaunlich frische Bilder für Bauwerke entwickeln können. Es gibt offensichtlich eine Kraft des Dilettantismus, die in den Frühphasen eines Entwurfes helfen könnte, manche Denkschablonen des Systems „Architektur“ zu überwinden. Die Initiatoren des Volkswettbewerbs versuchten mit dieser unkonventionellen Aktion ein Moratorium zu erreichen, um unter kühneren Prämissen neue Denkansätze für das Bauhaus-Museum zu initiieren, leider zu spät und ohne Erfolg. Aber auch das gehört zur Erzählung über das Geistige in der Architektur.

Weimar, Januar 2019

Veröffentlicht in: Palmbaum, Heft 1, 2019 (Heft 68)

4 Gedanken zu „Über das Geistige in der Architektur

  1. Mario Finkbeiner

    Das Bauhaus hat in seinem Geburtsort Weimar nun auch seine letzte Ruhestätte gefunden.
    Ein Totentempel, ein Tod ausstrahlendes und in seiner betonernen Wucht jeden Rest Lebendigkeit erschlagendes Mausoleum, besiegelt dies.
    Wie einst, als in den Pyramiden tonnenschwere Blöcke Kunst und Lebendigkeit einsargten, so tut dies heute Hanadas unwürdiger Kubus.
    Fenster- und ideenlos. Einzig dem Geld der Geldgeber unterworfen. Leer an Geist und Nimbus. Jedes noch so eilfertig strapazierte Event kann nicht verschleiern, dass Hanada den imaginären architektonischen Wettstreit gegen die Architektur Gieslers haushoch verloren hat. Wie der Matsch eines in die Pfütze springenden Kleinkindes springt den unbedarften Betrachter die Schönheit des Gauforums regelrecht an: kaum möglich, sich dagegen zu wehren.
    Der Bau hat nur Verlierer hervorgebracht:
    – die Architektin Hanada kann sich seiner nicht rühmen, im Gegenteil.
    – die Stadt Weimar hat auf ganzer Linie verloren, nicht nur eine ihrer Hauptverkehrsachsen.
    – die Stiftung Weimarer Klassik, der dieser Klotz noch ewig schwer am Halse hängen wird.
    – Stiftungspräsident Seemann, dem beim allfälligen Abgang nur Steine nachfliegen werden.
    – der Weimarhallenpark, der nunmehr vollends entseelt und vergewaltigt zum Pfuhl verkommt.
    – der Steuerzahler, der mit über 35 Millionen Euro dieses Grabmal der Moderne bezahlen muss.
    Die Einfallslosigkeit der Moderne, die sich vom Bauhaus ableitet wie ein schlechter Porno von der Erotik hat hier die bittere Bestätigung ihrer Belanglosigkeit gefunden.
    Wenigstens etwas.

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  2. Philipp Wiegandt

    Das angesprochene „schöne Schriftband“ ist (vermutlich) in Gill Sans ausgeführt, einer Schrift des englischen Typografen Eric Gill, die dieser frühestens 1928 in England schuf. Sie basiert auf der Johnston Sans, die Edward Johnston 1915 für die Londoner U-Bahn entwickelte. Die Anwendungsgeschichte der Gill ist interessant, auch in Bezug auf den Standort in der ehemaligen DDR, was das allerdings mit dem Bauhaus oder auch mit dem Ort Weimar zu tun hat, bleibt völlig offen?!

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  3. Claus Bach

    Das ist gut, Olaf. Der Entwurf von Zaha Hadid war auch mein damaliger Favorit. Aus ähnlichen Gründen. Allerdings ist Deine Argumentation freilich genauer. Schöne Grüße, Claus Bach

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