Solidarität mit Ellenbogen (2002)

Solidarität mit Ellenbogen

Viele Spenden werden gesammelt und Benefizkonzerte werden veranstaltet – für die Opfer des 11. September, des Erfurter Amoklaufes oder der letzten Flutkatastrophe. Gut gemeinte Hilfe ist das, ich habe auch gespendet. Doch bleibt ein ungutes Gefühl. Es scheint mir zwielichtig, dass eine Gesellschaft, in derem Alltag jeder den anderen zu übervorteilen sucht, in dem Gewalt und Betrug zu den normalen Umgangsformen gehören, plötzlich das wunderbare Wort Solidarität so hoch schätzt. Werden nicht Hilfe und Fürsorge, die als gütige Leidenschaften in uns schlummern und nach Erfüllung suchen, dazu benutzt, die raue soziale Wirklichkeit zu vernebeln? Versucht also die Ellenbogengesellschaft nur das Mäntelchen der Hilfsbereitschaft überzuziehen, wodurch unsere individuelle Hilfe als sentimental und blauäugig erscheint? Machen also die Medien aus der Solidarität etwas Kitschiges?

Eine Solidarität die nicht im Grunde, sondern nur als gelegentliche Kompensation des allgegenwärtigen Egoismus auftritt, ist wohl gar keine Solidarität. Wäre es also nicht tausendmal besser, wir würden im Alltag solidarischer sein, anstatt unsere Betroffenheit für Katastrophen aufzuheben?

Wie steht es zum Beispiel mit unserer Solidarität um das hungernde und kranke Afrika? Oder welche Solidarität üben wir mit den künftigen Generationen, denen wir Müll- und Schuldenberge (und ein verrücktes Klima) hinterlassen? Warum erklären wir Solidarität mit den USA, diese verweigern uns aber dieselbe, indem sie sich dem Klimaschutzabkommen und dem internationalen Gerichtshof verweigern? Eine kluge Politik ist gefragt, sie könnte viele Hilfsaktionen überflüssig machen. Ich denke, wir sollten nicht nur helfen wo wir können, sondern auch einem manipulierten und verkitschten Bild von Solidarität widerstehen

Prof. Dr. OLaf Weber
11.09.2002
(unveröffentlicht)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert