Konzeption für die Bildung einer Fakultät Kunst an der HAB Weimar (1991)

Ein Konzept zur Wieder-Eröffnung der Kunst- und Designausbildung in Weimar – geplant als weltoffene Selbstorganisation vor historischem Hintergrund und zeitgenössischem Kunstbegriff.

Olaf Weber
Konzeption für eine Fakultät Kunst an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar

I. Voraussetzungen
Am 13. Juli 1951 wurde mit der Schließung der Abteilung bildende Kunst die traditionelle Kunstausbildung in Weimar beendet. Diese Tradition begann 1776 mit der freien Zeichenschule, sie erhielt 1860 durch den Großherzog ihre akademische Form in der Kunstschule, wurde ergänzt durch Baugewerk- und Kunstgewerbeschule, um in den künstlerischen Synthesebestrebungen des Bauhauses ihren vorläufigen Höhepunkt zu finden.

Diese fast zweihundertjährige kunstpädagogische Tradition Weimars stand in enger Verbindung zum entwickelten Theater-, Musik- und Geistesleben dieser Stadt und bildet eine ihrer Image prägenden Komponenten. Für den Kulturraum Weimar ist die Fortsetzung dieser Entwicklungslinie von hervorragender Bedeutung. Die förderalistische Struktur der Bundesrepublik verpflichtet das Land Thüringen, die Verantwortung für seine kulturelle Identität auch durch die Gründung einer Kunstschule auszuweisen. Die Anzahl der ansässigen Künstler ist gering, der studentische Nachholebedarf in den ostdeutschen Ländern, besonders in Thüringen, ist erheblich. Die angestrebte Kunstausbildung an einer Stätte mit historischer Weltbedeutung könnte ein Impuls dafür sein, das künstlerische Niveau Thüringens aus provinzieller Enge heraus zu führen. In Zusammenwirkung mit weiteren künstlerischen Ausbildungsstätten Thüringens
könnten die künftigen Absolventen aus Weimar ein geographisches Zentrum neuzeitlicher künstlerischer Kultur bilden.

II. Das Ausbildungsprofil
Die durch die neuerliche Gründung des Landes Thüringen gegebene bildungs- und kulturpolitische Zäsur bietet die historische Chance für die Konzeption einer Kunstausbildung in Weimar, die allen neuzeitlichen Anforderungen an eine solche Einrichtung entspricht. Diese sollte in ihrem Anspruch nicht hinter ihre Vorgänger zurückgehen. Die moderne Kunstförderung entwickelt sich im Widerspruch zweier Prämissen: der Freiheit der Kunst und der Mäzenatenpflicht der Gesellschaft. Diese widersprüchliche Einheit hat ihre kunstpädagogische Entsprechung im Verhältnis von objektiver Lehre und Selbstverwirklichung der Individuen. Der Pluralismus weltanschaulicher und künstlerischer Haltung, die Entwicklung demokratischer Prinzipien und die freie Entfaltung aller schöpferischen Kräfte sind Voraussetzung einer neuen künstlerischen Kultur.

Entwickelte Phantasie und großer Realitätssinn bestimmen gleichermaßen ihre Qualität.
Die Kunstausbildung in Weimar kann nur als Teil der nationalen und internationalen Kunstpraxis entwickelt werden. Und ihre Spezifik innerhalb dieses weiten Spektrums aus der Weimarer Traditionslinie erfahren… In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, dass sich gerade die Neugründungen (z.B. Karlsruhe und Köln) auf das Vorbild des Weimarer Bauhauses berufen. Um so mehr ist diese Bezugnahme für die Neugründung der Fakultät Kunst an der Hochschule für Architektur und Bauwesen geboten – nun aber nicht mehr in der bisherigen Orientierung auf die serielle Produktion, sondern auf das Gesamtwerk „Umwelt“, die neuen Medien und die Totalität der sinnlichen Erfahrungen mit ihnen.

Neben dem Avantgardismus und den Synthesebestrebungen des Bauhauses sind die deutsche Aufklärung mit ihrer Bestimmung der Kunst als moralischer Anstalt zur Beförderung der Humanität und das tiefe Naturverständnis der Weimarer Malerschule wichtige historische Anknüpfungspunkte für das Profil der neuen Fakultät. Van de Velde brachte in diese Weimarer Traditionslinie das Credo vom Kunstanspruch der gesamten gegenständlichen Umwelt ein. Neben solchen geschichtlichen Orientierungen wird sich selbstverständlich der Inhalt der Weimarer Kunstausbildung durch die Nähe zu den anderen Weimarer Institutionen der Kultur (besonders zu den NFG, dem Nationaltheater und der Musikhochschule) und durch den Wirkungszusammenhang mit anderen Fakultäten der HAB entwickeln. Alle diese historischen und aktuellen Bezüge sollen der Fakultät Kunst an der HAB ein spezifisches Gepräge verleihen und ein hohes Ausbildungsniveau sichern. Eine solche Besonderheit ist auch Voraussetzung dafür, dass sich Weimar in der Konkurrenz internationaler Kunstschulen behaupten kann. j

Das Profil der neuen Fakultät sollte sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

1. Erweiterter medialer Kunstbegriff
Das Spektrum der künstlerischen Ausdrucksweisen hat sich in den letzten Jahrzehnten arbeitsteilig erweitert. Künstlerische Aussagen unterliegen Medienmetamorphosen und unterschiedlichen medialen Interpretationsketten. Öffentliche Kommunikationssysteme werden künstlerisch genutzt. Es bilden sich im Zusammenwirken neuartiger Darstellungs- und Rezeptionsweisen multimediale Kunstformen heraus.

2. Bevorzugung hybrider Formen freier und angewandter Kunst
Die gegenseitige Entfremdung von zweckfreier und zweckgebundener Kunst sollte zugunsten eines potenten Zwischenbereiches aufgehoben werden, in dem „angewandte“ Kunst ihre künstlerische Aussagefähigkeit weit über das ursprünglich zugebilligte Maß hinaus treibt und in dem sich die „freie“ Kunst einer sozialen, ökologischen und kulturellen Funktionalisierung nicht verschließt. Alle Ebenen möglicher materieller oder geistiger Utilität sollten sich in diesem Zentrum berühren.

3. Kunst, Natur und Technik bilden eine widersprüchliche Einheit
Die Bauhaus-These von der „neuen Einheit“ Kunst und Technik sollte kritisch hinterfragt und neu interpretiert werden. Ein globales Verständnis von den quantitativen Grenzen des Wachstums legt den technischen Mitteln das Kriterium der Kultur- und Umweltverträglichkeit an. Die Technikbeziehungen der Kunst reichen von einem möglichen Neo-Konstruktivismus bis zu den elektronisch modifizierten Kunstproduktionen (Computermalerei). Auch diese technischen Momente sollten sich nicht verselbstständigen, sondern in Beziehung zu den verschiedenen Gegenbewegungen (z.B. Öko-Kunst) gesetzt werden.

4. Der Raum als soziales und künstlerisches Phänomen
Die Nähe zur Architekturausbildung rückt den Raum in das Zentrum der künstlerischen Ausbildung. Raumelemente und ihre Verhältnisse sind spezifische Träger ästhetischer Botschaften. Zusammen mit den plastischen Figuren und der Lichtgestaltung bilden sie Animation für visuelle und taktile Kommunikation. Die Gestaltung des Raumes kann von relativ zweckfreier Kunst (Environrnent, multimediale Skulptur) zum stärker zweckbestimmten Design reichen (Ausstellungs- und Bühnengestaltung). Eine besondere Geltung künstlerischen Ausdrucks entsteht durch die Ergänzung des Räumlichen durch den Faktor „Bewegung“ (Gestik, Tanz – vgl. Schlemmers „Triadisches Ballett“) und durch den Handlungsaspekt (theatralische Szenarien, soziale Aktionskunst, Happening, Performance). Das Naturräumliche wird zur ökologischen Garten- und Landschaftskunst hin ästhetisiert.

5. Schöpferische Individuen arbeiten zusammen
Der Ort künstlerischer Inspiration ist das Individuum. Es soll im Interesse „hybrider“ Ergebnisse zu Interaktionen mit Studierenden benachbarter Disziplinen befähigt und ermuntert werden. Die funktionale Besitznahme des Mediums „Kunst“ ist ohne Gemeinschaftssinn nicht denkbar. Dieser sollte in die Fakultät durch die respektvolle Förderung der Persönlichkeit und durch geselliges und experimentierfreudiges Zusammenleben gefördert werden. Auch hierin sind Vorbilder am Bauhaus zur Hand (vgl. die berühmten „Bauhausfeste“).

III. Die Struktur der Fakultät
(vergl. grafisches Schema)
Die Ausbildung erfolgt auf drei Ebenen, die allerdings nicht chronologischen Studienabschnitten entsprechen. Atelierarbeit beginnt z.B. bereits im 1. Studienjahr, andererseits werden Grundlagen auch noch in höheren Semestern vermittelt.

Die Grundlagenfächer sind einerseits geisteswissenschaftlicher Art (Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie, sowie Kommunikations- /Umwelttheorie), andererseits betreffen sie Aspekte der Gestaltungslehre (elementares Gestalten, Farb-, Raum-, Schriftgestaltung,, Morphologie) und das Naturstudium. Die Werkstätten, Labors und Studios vereinigen die technischen Grundlagen der Fakultät. Sie stehen allen Lehrenden und Lernenden zur Verfügung. Die Leiter der Werkstätten, Labors und Studios haben gegenüber den Studierenden auch Lehraufgaben zu erfüllen (in Anlehnung an die „Werkmeister“ am Bauhaus). Die Ateliers werden in ihrem Charakter durch die Persönlichkeit der berufenen Leiter definiert. Sie haben kein scharf voneinander abgegrenztes inhaltliches Profil, doch sollten sie auf die drei Studiengänge Objektkunst, Raumkunst und Medienkunst orientieren. Mindestens zwei Ateliers beziehen ihre Arbeit auf jeweils einen Studiengang, wobei das eine Atelier der freien, das andere der zweckbezogenen Kunst zuneigt, wodurch ihr Zusammenhang den oben beschriebenen widerspruchsvollen Zwischenbereich verstärkt.

Das Niveau der künstlerischen Ausbildung wird vor allem durch die Persönlichkeiten bestimmt, die als Lehrer berufen werden. Ein Teil der Lehrenden ist an der Fakultät Architektur bereits tätig und kann möglicherweise beide Ausbildungen bedienen. Die Berufung von geeigneten Künstlern mit nationalem und internationalem Ruf ist aber unerlässlich. Auch darin gibt es bereits eine Tradition. Der Stadt Weimar ist es in der Vergangenheit immer wieder gelungen, vor allem durch eine schöpferische Atmosphäre bei relativ bescheidenen Fonds große Künstlerpersönlichkeiten in Dienst zu stellen (zuletzt Henry van de Velde, Walter Gropius und die Bauhausmeister). Das kunstpädagogische Konzept in Weimar sollte auf dem Zusammenwirken befähigter und kooperationsbereiter Künstlerpersönlichkeiten beruhen, deren Wirksamkeit durch eine solide Grundlagenausbildung der Studierenden unterstützt wird. Die Kunststudenten sollten in der individuellen Gestaltung ihres Studienprofils in höchstem Maße ungebunden sein. Bei der Auswahl der Lehrer sollte neben dem Rang des Künstlers und seinen pädagogischen Fähigkeiten auch der begründete Wille eine Rolle spielen, das historisch begründete Ausbildungsprofil der Fakultät Kunst zu unterstützen. Die Fakultät Kunst sollte in den tradionellen Räumen der Kunst- bzw. Kunstgewerbeausbildung, d.h. in Teilen des Hauptgebäudes bzw. des Van-de-Velde-Baues der HAB Weimar untergebracht werden.

Die räumliche Nähe zur Fakultät Architektur ist auch bei einem künftig zu
erwartenden größeren Raumbedarf weiterhin anzustreben. Das ist auch deshalb wichtig, weil einige Ausbildungselemente von beiden Fakultäten gemeinsam getragen werden können.

Fakultät Kunst

Grundlagen:
Naturstudium – Landschaft, Natur, Mensch
Theorie – Philosophie, Kunstgeschichte, Psychologie, Kommunikations-und Umwelttheorie
Gestaltungslehre – elementares Gestalten, Morphologie, Farbgestaltung, Raumgestaltung

Werkstätten, Labors, Studios:
Materialwerkstätten – Stein, Metall, Holz, Glas, Kunststoffe
Raumlabor – Lichtgestaltung
Medienwerkstatt – Computermalerei
Grafikwerkstatt – Druckgrafik, Fotografie

Ateliers:
Objektkunst, Raumkunst, Medienkunst
(mit Orientierung auf freie Kunst/ zweckgebundene Kunst)

IV. Schritte zur Fakultätsbildung
Die Bildung der Fakultät Kunst sollte als Selbstfindungsprozess organisiert werden, für den die vorliegende Konzeption nur eine erste Orientierung bedeutet.

0. Stufe März 1991
Bildung eines Gründungsausschusses der Fakultät Kunst durch den Rektor der HAB.
Dieser Ausschuss hat die Aufgabe, die finanziellen, räumlichen, strukturellen und inhaltlichen Aspekte der Gründung zu sondieren sowie personelle Entscheidungen vorzubereiten. Zu einem geeigneten Zeitpunkt wird der Gründungsausschuss einen Wettbewerb für Ausbildungskonzepte ausschreiben, mit der sich hervorragende Persönlichkeiten zur Leitung und zur Lehre an der Fakultät bewerben können.

1. Stufe 1991/92
Schaffung eines Kunstinstitutes an der HAB. Bildung einer künstlerisch-experimentellen Projektgruppe aus Mitarbeitern des künstlerischen Bereiches und der künstlerisch-experimentellen Werkstätten sowie besonders interessierten und begabten Architekturstudenten. Ausschreibung semesterbegleitender künstlerischer Projekte. Installation von künstlerischen Gastprofessuren, Besetzung des Gropiuslehrstuhles (evtl. durch Teilung) mit geeigneten Persönlichkeiten, die das geistige Klima für die Gründung der Fakultät Kunst schaffen helfen. Durchführungen von Aufnahmeprüfungen.

2. Stufe 1992/93
Nomineller Akt der Gründung der Fakultät Kunst. Berufung von zunächst 2 – 3 Professoren. Immatrikulation von 5 – 10 Studenten, auch Übernahme einiger Architekturstudenten. Experimentelle Erprobung geeigneter Studienformen, Orientierung auf diejenigen Schwerpunkte, die im Schema hervorgehoben sind (mit Präferenz auf Raumkunst), Installation des Raumlabors als ersten Werkstatteil. Die volle Arbeitsfähigkeit der Fakultät wird schrittweise durch weitere Berufungen und Immatrikulationen erreicht. Die Kooperation der Fakultät innerhalb der HAB und des Territoriums werden intensiviert.

Die Fakultät Kunst beginnt, das Profil der HAB und das Kulturniveau der Stadt Weimar und des Landes Thüringen wesentlich mitzubestimmen. Das Leistungsprofil der Kunstfakultät entwickelt sich im Einklang mit den Strukturen der internationalen Kunstszene. Die Fakultät bereitet sich auf ihren Beitrag zu den Ereignissen anlässlich der Ernennung Weimars zur Europäischen Kulturhauptstadt vor.

Arbeitsgruppe des Fakultätsrates der Fakultät Architektur zur Ausarbeitung einer Konzeption für die Bildung einer Fakultät Kunst. Dezember 1990/Januar 1991

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