Ein Museum für den schwierigen Gefährten (1982/89/90)

Zur Kritik des Schiller-Museums in Weimar (1990)

Von Olaf Weber

 

Das neu erbaute Schillermuseum in Weimar erhielt kürzlich (1989) den Architekturpreis der DDR. Der schon wieder verblichenen Würdigung soll nun die gebotene Kritik folgen.

Der Rang der Aufgabe lässt vor allem danach fragen, wie dieses Gebäude dem immer wieder erblassenden Image Weimars als Kulturstadt entspricht und wie es dem Schiller’schen Geiste, seiner Kunst des „mündigen Sicht-Behauptens“ genügen kann, wie es schließlich die humanistischen Vorstellungen der Klassiker von der langfristigen erzieherischen Wirkung der Kunst hin zu einem gesellschaftlichen Zustand der Harmonie und Freiheit in Architektur, also in architektonische Funktionen und baulichen Ausdruck transformieren könnte.

Damit ist freilich ein Anspruch an Baukultur formuliert, der überhaupt kaum erfüllbar ist, er musste auch die Autoren des Schillermuseums an ihre gesellschaftlich bedingten Grenzen führen. Er konnte nicht einmal vom Auftraggeber (den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar) als Handlungsimpuls an die Planer formuliert werden.

Trotzdem will ich den Bogen der Analyse über die üblichen Aspekte von Konstruktion, Funktion und städtebaulicher Einordnung hinaus bis in die geistigen Hintergründe des Entwurfes spannen,  soweit mir das möglich ist. Die Grundlage für diesen Aufsatz habe ich schon 1982  nach dem Wettbewerb für das Schillermuseum gelegt, war dann im Auftrag der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar selbst in der Gruppe um Aschenbach/Beyer beratend tätig und habe das endliche Ergebnis als etwas begrüßt, dass zurecht einen Preis verdient hat. Im Herbst 1989 war dieser Artikel noch unfertig, ich wollte ihn aber im Vorgefühl großer gesellschaftlicher Veränderungen noch beenden. Der durch die Wende gerade gewonnene Abstand hebt die Kritik von den beteiligten Personen ab und vielleicht den Widerspruch hervor, der sich zwischen einer stark reglemierten Baupolitik und den Potenzen eines freien Geistes Schiller’scher Prägung auftut.

 

  1. Wer war eigentlich der Architekt?

Die Frage ist, wie bei vielen Bauwerken in der DDR, nur schwer zu beantworten. Dabei begann alles sehr verheißungsvoll: Ein Wettbewerb im Jahre 1981 und ein Gewinner, der sofort den Auftrag zur Projektierung erhielt. Doch nach diesem gelungenen Start wurden dem Architekten bald die Füße schwer. Was waren die Gründe? Normalerweise kommen Architekten mit den materiell-technischen Begrenzungen ihres Berufes ganz gut zurecht. Zu allen Zeiten empfanden die Architekten die Faktoren und Bedingungen der Bauaufgabe nicht nur als Ärgernisse, die ihre Kreativität einschränkten, sondern auch als willkommene Impulse. „Normalerweise“ heißt, dass den Faktoren und Bedingungen selbst eine gewisse Kultur innewohnt und es ist augenscheinlich, dass diese Kultur wie anderswo auch in den gesellschaftlichen Verhältnissen des Bauens fehlte und massenhaft noch fehlt. Das lag vor allem an der ungeordneten zentralistischen Planung. Im gegebenen Beispiel begann das Malheur mit der von „oben“ (Bezirksbaudirektor) verordneten Bauweise, die sich für Aufgabe und Standort als problematisch erwies. Mitten im Planungsprozess gab es ein wirtschaftlich begründetes Stahlverbot, so dass der im modernen  „lift-slep“-Verfahren  konzipierte Bau schließlich in monolithischem Stahlbeton ausgeführt werden musste. Diese und viele andere Widrigkeiten technisch-wirtschaftlicher Art will ich beiseitelassen, die eigentlichen Probleme ergaben sich aus Unsicherheiten in den Architekturauffassungen aller Beteiligten.

Das Preisgericht hatte seinerzeit viele offene Fragen, z.B. die nach der Kontext- Verträglichkeit und nach möglichen historischen Bezügen der Baugestalt sehr normativ entschieden. Es herrschte ein recht simpler Modernismus vor. Das Preisgericht hatte mit der Vergabe und Begründung der Preise die wirkliche Auseinandersetzung um die geeignetste architektonische Lösung eher verhindert als gefördert. Die Siegerlösung bestand in einer stark horizontal gegliederten Fassade, die wenig ins städtische Bild passte und auf Schiller gar keinen Bezug nahm.

So konnte sich die angestaute Problemmenge nur in einem hausgemachten Krach entladen, in dessen Verlaufe sich zwei engagierte Architekten (Jürgen Beyer und Klaus Aschenbach), die im Dienste des Auftraggebers standen, auf den Weg zu einer Alternative machten.

In der darauf folgenden Kontroverse war der Autor dieses Beitrages schon einmal dazu bestellt, Urteile zu fällen und schlug sich guten Gewissens auf die Seite der neuen Lösungen, die im Rahmen einer Klausur qualifiziert wurde. Doch damit war der Architekt verloren gegangen – nicht nur in der Person des Preisträgers, sondern überhaupt als ein definiertes Individuum, dessen Persönlichkeit in der Lage gewesen wäre, die Kraft einer Idee gegen alle kleinlichen , aber realen Widerstände zu behaupten. Als das Haus fertig war, musste der Ordnung wegen noch einmal nach dem Architekten gesucht werden. Es waren mittlerweile derer schon viele geworden, was lag da näher, als einen übergeordneten Leiter vorn anzusetzen, damit hatte sich der Autor aber aufgelöst.

 

  1. Zur Ideengeschichte des Museumsgebäudes

Der Wettbewerb hatte vier Grundtendenzen hervorgebracht. Die häufigste Architekturauffassung war eine sich am Kontext – vor allem am Schiller-Wohnhaus – anlehnende historisierende Architektur mit neu(neo)-barockem Einschlag. (1) Der Charakter des zum Flächendenkmal erklärten Weimarer Stadtzentrums und das konservative Image einer Memorialstätte mögen dafür Pate gestanden haben. Aber der historisierenden Gestaltung haftet immer der Makel von Geschichtsklitterung zum zweifelhaften Vorteil eines von Widersprüchen geglätteten Stadtbildes an. Die Stadt nach ihrer Vergangenheit zu gestalten, ist in der Zeit nach Goethe und Schiller immer ein tragendes Motiv in Weimar gewesen, die Gegenposition hatte unter anderem Franz Liszt im Neu-Weimarer Verein aufgemacht, der auf das kulturelle Erneuerungspotential der Stadt als Image -prägendes Moment setzte –

von Lucas Cranach, über Johann Sebastian Bach, Goethe und Schiller, Liszt, Van de Velde und Gropius ist die Erneuerungslust tatsächlich erstaunlich kontinuierlich nachzuweisen. Im Prinzip muss zwischen den Polen des Konservativen und des Innovativen jede Stadt ihre spezifische Balance finden – die neobarocke Variante (1) war aber dafür ebenso wenig geeignet wie die auch vorgeschlagene modernistische Lösung, die dem Orte fremde Strukturen im Namen einer  nicht legitimierten Innovation oktroyiert. Immerhin erhielt dieser Vorschlag (2) noch Elemente wirklich funktionalen Denkens. So wurde angeregt, im Erdgeschoß des Museums die Bühnentechnik aus Schillers Zeit zu demonstrieren und dort kleine Theaterstücke aufzuführen. Doch die Architektur reagierte in diesem Vorschlag weder auf das Ambiente des Viertels noch auf den Historiker und Dramatiker Schiller, dessen Kunst stets auf ganz eigenartige und autonome Weise geschichtliches Material einbezogen hatte.

Eine eigenwillige Beziehung zur Geschichtlichkeit der Stadt hatte ein weiterer Beitrag entwickelt (3). In dieser Konzeption ist das Steildach mit einem spielerischen modernen Habitus verbunden, in den historische Zitate einbezogen wurden. Das Gebäude ist in seiner Einheitlichkeit bewusst zurückgenommen worden und passte sich in den drei öffentlichen Fassaden den Charakteren des jeweiligen Gegenüber an: an die Feingliedrigkeit des Schillerhauses und den Maßstab und den Hauscharakter der beiden umschließenden Gassen.

Diese dreifache Verbeugung vor dem Kontext führt zwar in diesem Falle noch nicht zum ästhetischen Auseinanderfallen des Gebäudes, weil genügend integrierende Gestaltungsmittel vorhanden sind, doch ist der von Wolfgang Kil in Anlehnung an Worringers Ausdruck festgestellte „Verlust der Mitte“ durchaus zu beklagen, zumal die Mitte dieses Bauwerkes vom Geiste Schillers zu besetzen wäre, von seinem großen Vermächtnis zur Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das uns verhelfen könnte, „unser fliehendes Dasein zu befestigen“ (Schiller). So ist der Entwurf eine Antwort auf Weimar, aber nicht auf Schiller, er reagiert nur auf die bauliche, nicht auf die literarische Dimension gebotener Historizität.

Den architektonischen Bezug zu Schiller in der Adaption von Formmerkmalen des Schiller’schen Wohnhauses zu suchen, wäre ein naheliegendes, im baulichen Medium verbleibendes Verfahren. Die Architektur aus der Philosophie, der Welt- und Kunstanschauung Schillers zu beziehen, hieße dagegen, den Inhalt des Museums mit architektonischen Mitteln zu interpretieren, es wäre die Translation von Literatur in ein anderes Medium oder besser: die künstlerische Umsetzung von Elementen der Geistesgeschichte, die in einem engen Zusammenhang zu  Schiller standen und die schon einmal Gegenstand von einer anderen Kunst, von Literatur gewesen sind, in die Formensprache der Architektur.

Auch ein solcher Versuch war in einem interessanten Beitrag des Wettbewerbes unternommen worden (4). Der Entwurf stellt Bezüge zur Französischen Revolution her, indem die Autoren Motive der so genannten Revolutionsarchitekten (Ledoux, Boulée) assoziativ verwendeten. Einfache Baukörperformen, in denen sich Würde, Pathos und Monumentalität ausdrücken, geben der Gestalt eine erklärende Symbolik, deren Rationalismus durch spielerische Verfremdung des Kanons gemildert wird, ohne jedoch ins Dekorative zu verfallen (vgl. die leichte Krümmung der Fassade oder die Abknickung der Mittelachse). Die widersprüchliche Beziehung Schillers zur Französischen Revolution, die nur richtig zu verstehen ist, wenn man die analogische Beziehung von Politik und Kunst untersucht, findet ihren Niederschlag in dieser theatralischen Geste der Adaption und Verfremdung, zu der jeder seinen eigenen Abstand finden muss. Dieser muss ihm aber vom Bauwerk auch angeboten werden. Es entspricht dem allerorts herrschenden Unvermögen, architektonische Ideen in ihrer Komplexität und Tiefe zu denken, dass dieser Vorschlag vom Preisgericht und vom Schillerkundigen Auftraggeber abgelehnt wurde. Die Monumentalität wurde nicht in ihrem historischen Bezug gesehen, in dem sie gedacht war und schien deshalb dem populistischen Prinzip im Wege zu stehen, Schiller „vom Sockel“ herunterzuholen.

 

  1. Die Metamorphose des Kompromisses

Der preisgekrönte Entwurf war ein moderner, wohlproportionierter Baukörper (5) mit interessantem Wechsel von Glas- und Betonflächen, mit großen Dachaufbauten, einer leichten Plastizität der Fassade, dem es an nichts fehlte – außer an einer architektonischen Idee. Es war das typische Ergebnis einer Entwurfsmethode, die darauf aus ist, die vielen und oft widerstrebenden Faktoren, Bedingungen und Funktionen zu einem akzeptablen Kompromiss zusammenzuführen und dem Ganzen ein irgend geartetes „modernes“ und einheitliches Aussehen zu geben. Diese Zielstellung war erfüllt, doch hatte das Bild dieses Entwurfes weder etwas mit Weimar, noch mit einem Museum oder mit Schiller und seiner Zeit zu tun.

Der darauf folgende Alternativentwurf suchte die Lösung noch strikter von innen her, indem er die funktionalen Bedingungen eines Literaturmuseums durchforschte. Es wurde schnell deutlich, dass die Fassaden des Erdgeschosses transparent sein sollten, um durch optische Ein- und Ausblicke eine große „Bürgernähe“ und Stadtoffenheit zu erzeugen, die Ausstellungsräume im Obergeschoß aber brauchen geschlossene Wände, die als Hängeflächen für die Exponate des Museums genutzt werden können. Zeitgleich galt die Absicht, die Ausstellungsräume nicht fensterlos abzuschotten, sondern dem Museumsbesucher im Wechsel zur historischen Unterweisung auch Ausblicke auf das reale, heutige Leben provozierend anzubieten (ähnlich etwa der Konzeption des Wallraff-Richards-Museum in Köln). Diese Absicht führte zusammen mit technischen Anforderungen der lift-slep-Konstruktion (die Stützen stehen im Inneren etwa 80 cm vor den Wänden bzw. vor den Ecken) dazu, die innen gut sichtbaren Flächen zwischen den Stützen zu schließen und die Ecken (hinter den Stützen) zu gläsernen Ausblicken zu machen. Zusammen mit dem gläsernen Erdgeschoß erzeugte die konsequente nutzertechnologische und bautechnologische Analyse eine klare äußere Form – das Portalmotiv (6).

Zu einer wirklich architektonischen Idee wurde dieses Motiv aber erst, als es nicht mehr nur von innen, sondern auch von äußeren Intentionen gestützt wurde. Dazu musste es von einem funktionalistisch begründeten zu einem komplexen künstlerischen Motiv werden. Auf diesem Wege hat das Portalmotiv einen gänzlich neuen Sinn erhalten. Es wurde vor allem durch das Einsetzen eines „Spiegels“ zu einem Gestus des Klassischen, der Schinkel und Mies van der Rohe gleichsam zusammenfügen kann und auf diese Weise zwar nicht so philosophisch wie beim beispielhaften Verweis auf die Revolutionsarchitektur, aber immerhin ästhetisch die Schiller’sche Zeit zu assoziieren vermag. Die axiale Zuordnung der großen Gauben zu diesen Motiven vergrößerte das klassizistische, die verglasten Ecken das zeitgenössische Moment dieser Aussage. Die dritte historische Dimension wird durch den Charakter des Kontextes bestimmt, der aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt. Er spiegelt sich in der Baukörperstaffelung und in dem die Monumentalität etwas zurückzunehmenden „normalen“ Bürgerhauscharakter wider. Alle diese historischen Bezüge sind eher verhalten angelegt, doch sie sind wahrnehmbar. Sie produzieren Ansätze einer philosophischen Architektur, einer Architektur der „geistigen“ Anstöße, die die Maxime von Schillers Kunst jedenfalls in ihren Absichten berührt.

 

  1. Die Kunst der Ausgestaltung

Ein modernes Museum ist dem Massentourismus geweiht. Ihm fallen die subtileren Funktionen von Memorialstätten allzu leicht zum Opfer. Ein hoher Anspruch von Wissensvermittlung und ästhetischem Erleben ist nur zu erfüllen, wenn das Museum selbst zum synästhetischen Erlebnis, zum Kunstwerk wird. Das ist trotz guter Vorarbeit der Literaturwissenschaftler, dem Bemühen der Museumspädagogen und Ausstellungsgestalter und trotz der aufgebotenen bildkünstlerischen Leistungen nur in Ansätzen gelungen.

Die Disharmonien liegen wesentlich in den lokomotorischen Raumbedingungen. Schon im Foyer bewegt man sich unlogisch, muss man hinter der Kasse und Garderobe kehrt machen, um eine schlichte Treppe mit schönem Edelstahlhandlauf zu besteigen, um an ihrem Ende angelangt, unverhofft im geräumigen Hauptgeschoß zu stehen. Dort beginnt dann entgegen dem Uhrzeigersinn (und den Lesegewohnheiten) die Lebensgeschichte des Museumsobjektes auf tadellosen Ausstellungstäfelchen. Weiter hinten führt eine weitere, diesmal einläufige Treppe ins 2. Obergeschoss. Diese Treppe war ursprünglich gekrümmt gedacht, um ein Treppenauge zu fassen, wurde aber im Laufe der bautechnologischen Durcharbeitung zu banalsten öffentlichen Stiege herunter rationalisiert. So ist der Bewegungsablauf leider disparat und manche Bauglieder sind gestaltlose Wesen geworden.

Eine klare thematische Dreigliederung – Schillers Leben und Werk, die Rezeptionsgeschichte seines Werkes und die Nachwirkungen auf das Theater – passten scheinbar problemlos zu dem baulichen Raumangebot. Aber damit war zugleich eine Klarheit der großen Räume vorgegeben, die nun simpel wirkt. Die Ausstellungsgestalter hatten es sich den internationalen Trends entsprechend zur Aufgabe gemacht, die Ausstellungsinhalte nicht einfach darzubieten, sondern sie zu inszenieren. „Inszenieren“ heißt, das Ausstellungsmaterial einer Idee unterzuordnen, die sich auf die Vermittlung des Inhaltes an das Publikum versteht. Die Absicht ist zu begrüßen, allein die Idee ist kaum zu erkennen und die gestalterischen Mittel sind außerordentlich dürftig. Der Eindruck ist sachlich und gediegen, das ist wohltuend im Verhältnis zu manchen Modernismen (wie beispielsweise Großfotos im Goethe-Museum), doch ein das meist jugendliche Publikum begeisterndes, visuell verdichtetes Raumganzes (als Environment) ist so nicht entstanden.

Die Architekten wollten „funktional“ vorgehen und verstanden darunter vor allem die sachliche, einfache Form. Doch das steht im Widerspruch zur Lust des Publikums auf Erlebnisse. Der sinnliche Zugang hätte Schillers Hang zum Dramatischen durchaus entsprochen, und die Besucher hätten am Haus selber die künstlerische Methode Schillers erlebt, der die Wirkung seiner Kunst im Wechselspiel von „Eroberung und Schmähung des Publikums“ dramatisierte. Zu solcher potenter Gestaltung hätte es aber einer subjektiven Festigkeit bedurft, die wiederum eine unverkrampfte, tolerante Öffentlichkeit zur Voraussetzung hat. Weil die aber fehlte, konnte auch der große Wurf nicht zustande kommen. Die ästhetische Symbolik durchdringt nicht den Raum, sondern ist auf einzelne, zum Teil sehr reizvolle, aber voneinander abgesonderte Kunstwerke begrenzt, die aufgrund ihrer Isolation den Gesamteindruck nur wenig aufbessern können.

 

  1. Die Ausgestaltung der Kunst

Die Symbolik kündigt sich dem nahenden Besucher schon am Eingang der Neugasse mit einem kleinen Natursteinobelisk an, ein Achtungszeichen, dem im Vorhof zwischen Wohnhaus und Museum die anspruchsvoll fragende Kunst Wieland Försters folgt. Sein bronzener Torso „Hommage à Schiller“ ist ein schwieriger Auftakt für die neugierigen Gäste, die darin wohl kaum ihr bequemes Schiller-Klischee bestätigt finden. In Försters Skulptur wird das Genie entgöttert, aber nicht entmystifiziert, es bleibt genügend Entdeckerfreude für’s Museum. Die antipodische Korrespondenz dieser bestaunten Plastik zu Danneckers Lehrbuchbekannter Kolossalplastik des Schillerkopfes, die nicht ungeschickt im Foyer platziert ist, gehört zu den gelungensten Momenten der Museumsgestaltung. Danneckers klassische Plastik steht auf einem unsicheren Postament aus gestapelten und gegeneinander verdrehten Würfeln. Ich halte diese anstößige Verfremdung für akzeptabel, weil sie zwar verunsichert, aber das Denken nicht aus der Geschichte entlässt und zeitgenössisch reglementiert. Das ironische Spiel mit der gewaltigen Büste ist zeitgemäß (wer will: postmodern), worauf es aber vor allem ankommt: Es ist sinnvoll, es wirkt erkenntnisfördernd.

Im Obergeschoß erwarten den Besucher lebensgroße, artige Theaterfiguren, wie sie zu Schillers Zeit kostümiert waren. Weiter hinten wird Schiller selbst zur szenischen Figur. In einen seltsamen Käfig gesperrt wird sein an eine Tafel gemalter Schriftzug zum (Geistes-) Blitz, der, in umgekehrter Richtung, durch eine Deckenöffnung nach oben funkt. Dort wird er zur Bühne, auf der sich allerlei Gestalten tummeln und den Betrachter ins Grübeln bringen. Wenn man über die schon beschriebene banalste aller Treppen nach oben kommt, stehen viele Stühle vor einer ausstaffierten Bühne in einem fast leeren Raum. Sie sind bunt zusammengewürfelt, alte und neue, aus verschiedenen Zeiten. Hier ist Geschichtlichkeit sinnbildlich gemacht, die Stühle symbolisieren das Thema, der Gedanke verbreitet sich räumlich, das kunstvoll Gestaltete ist kein isoliertes Ding, sondern ein raumbildender Faktor. Doch hier endet auch schon das Museum. Es bleibt der Eindruck des Disparaten, nicht der einer Collage. Die schönen Absichten der Ausstellungsgestalter sind an den Kunstobjekten verbraucht, oder sie haben sich zum soliden Handwerk hin neutralisiert.

 

  1. Das Schillerhaus – eine Puppenstube

Denkmale sind immer gefährdet, deshalb geht es zuvorderst darum, sie zu erhalten. Die erste Funktion eines Denkmals ist seine Existenz. Alle anderen Funktionen – die ästhetische oder die kulturpädagogische – treten hinter die ontologische Funktion zurück. Und zweitens: das Denkmal ist vor allem Zeugnis historischer Prozesse, nicht historischer Zustände. Die Umbauten zu zeitgemäßen Bedürfnissen hin sind vom historischen Wert her danach zu beurteilen, ob sie die historische Zeugenschaft erweitern, ob sie also zu immer neuem Zeitzeugnis werden, oder ob sie durch unseren Eingriff mehr an historischen Informationen verlieren, als gewinnen.

Das Schillermuseum ist im Zuge des Neubaus des Museums auch umgestaltet worden. Mit viel Sorgfalt und Spürsinn versuchten dabei die Denkmalpfleger und Architekten, das Gebäude zu rekonstruieren. Die Details können an dieser Stelle nicht beleuchtet werden, ich will nur die denkmalpflegerische Zielstellung hinterfragen. Das Gebäude ist im Verlaufe seiner Geschichte oft umgebaut worden. Der 1777 errichtete Barockbau hatte ursprünglich seine Hauptorientierung nach der Innenstadt, denn die heutige Schillerstraße war damals ein Ort der Stadtbefestigung. Nach dem Abriss der Fortifikation drehte das Haus sein Gesicht und den Eingang zur damals neu eingerichteten Esplanade hin. Diese maßgebliche Veränderung der Gebäudeerschließung ist nun auf merkwürdige Weise wieder rückgängig gemacht worden. Jetzt betritt man das Schillerhaus von der Rückseite im 1. Obergeschoß über das Museum. Wie der Betrachter dabei die Funktion des Hauses und Schillers verflossenes Leben begreifen soll, bleibt rätselhaft. Ein Haus kann man nur von der Haustür aus verstehen. Die Grundlage des Verstehens ist immer die Nachvollziehbarkeit der Bewegung und Tätigkeiten im Hause. Nun ist aber durch die umständliche Erschließung ein solcher Zustand eingetreten, in dem jemand ist, der ein Buch, auf den Kopf gedreht, liest.

Gemessen an solchen Veränderungen sind diejenigen, mit denen sich die Denkmalpflege beschäftigen durfte, eher drittrangig. Das Haus wurde auch nach Schillers Umbau von 1802 noch mehrmals verändert. Wandschränke wurden eingebaut, Kamine abgerissen, Öfen versetzt und natürlich Tapeten gewechselt. Nach Schillers Tod wohnte die Familie noch über 20 Jahre im Hause, dann wechselte es seinen Besitzer. Die Möbel verloren sich als Gebrauchtwaren. Im Dachstübchen entstand eine kleine Erinnerungsstätte, nachdem im Jahr 1847 das Haus von der Stadt Weimar angekauft worden war. Die denkmalpflegerische Analyse fragt in solchem Falle gewöhnlich danach, welcher der vielen historischen Zustände wiederhergestellt werden soll – hier wurde entschieden, das Jahr 1805 (Schillers Tod) zu fixieren.

Daran ist zunächst das schon eingangs erwähnte statische Denken zu kritisieren. Indem das Haus, trotz ungenauer Quellen zum Interieur und fehlender Originalstücke auf einen einzigen Zeitpunkt zurückgeführt wurde, musste zwangsläufig Geschichte vernichtet werden, und zwar gerade diejenigen Eingriffe, die Zeugnisse des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Erbe Schillers waren, die ein Teil seiner Rezeptionsgeschichte ausmachten. Schillers Kunst wurde wie keine zweite in die ideologischen und politischen Kämpfe der Nachgeborenen verstrickt. Humanisten, Nationalisten, proletarische Bildungsvereine, Chauvinisten – die ideologische Polarisierung an seinem Werk fand unzählige Facetten. Das Schillerhaus blieb – vielleicht gerade deshalb – ein Ausdruck der öffentlichen Beschränktheit und des bornierten Kunstverstandes, der Primitivismus der alten Gedächtnisstätte sprach dafür Bände.

Im Museum ist mit viel Aufwand die Rezeptionsgeschichte von Schillers Werk aufgearbeitet worden, im Schillerhaus hätte man ein lebendiges Zeugnis dieser Geschichte gehabt, wären nur wenigstens einige Elemente des alten, nach-schillerschen Interieurs erhalten geblieben. So aber ist eine klinisch saubere, historische Fiktion herausgekommen, die niedlich ist wie eine Puppenstube. Zu Schiller – möge er auch in einer ähnlichen Umgebung gelebt haben – passt diese bürgerliche Tapetenharmonie wohl kaum. Dem Widerspruchsgeist dieses „schwierigen Gefährten“ (Jochen Golz) ist architektonisch sicher nicht leicht beizukommen, es bleibt aber problematisch, einer zweifelhaften historischen „Sauberkeit“ und eines problematischen pädagogischen Erfolgs wegen eine lebendige sozial-kulturelle Anschauung zu opfern. Ein hübsches Bild ist an die Stelle einer Lektion über den Umgang der Deutschen mit ihren Genies getreten. Der Prozess, die Geschichte ist dabei zurückgenommen. Eine solche Pflege schließt die soziale Lebendigkeit des baulichen Organismus aus. Ein solches Konservieren verlangt nach Leichnamen, die sich bestaunen lassen. Mit dieser Feststellung soll den engagierten Denkmalpflegern und Restauratoren nicht Unrecht getan werden. Es ist sicher nicht zufällig, dass sich ein solches Verständnis von Denkmalpflege gerade in der Stagnationsphase unserer Gesellschaft entwickelt hat. Am Schillerhaus – so ist zu hoffen – wird sich schon wieder das Unedle der Gegenwart und vieler Zeiten einmeißeln.

Im Gesamturteil erweist sich der Komplex des Schillermuseums als typisches Bauprodukt der späten Honecker-Ära. In seiner Architektur spiegelt sich die bürokratische Bauplanung und der chronische Kapazitäts- und Materialmangel ebenso wider wie das stasi-geschützte Humanitätsideal des Sozialismus, das sich durch diesen Schutz so gründlich desavouiert hat. Es zeigen sich auch die Anfänge einer neuen Baugesinnung, die von ehrlichem Suchen nach den historischen Bezügen der Bauaufgabe geprägt war und die noch nicht von der Vermarktungssucht nach dem Auffälligen beherrscht wurde. Am Schillermuseum ist das große Engagement der beteiligten Architekten, Denkmalpfleger und Ausstellungsgestalter und zugleich das vielfältig bedingte Unvermögen abzulesen, über ein gutes Mittelmaß hinauszuragen. Vor allem darin ist das Schillermuseum für die DDR- Architektur bezeichnend.

 

Dr. Olaf Weber

 

Januar 1990, leicht redigiert 2017

unveröffentlichtes Manuskript

Nachbemerkung im Januar 2018: Beim Schreiben dieses Artikels (im Januar 1990) ging ich noch davon aus, dass die DDR noch eine Weile existieren würde und man sie – auch in ihren baulichen Ergebnissen- kräftig kritisieren müsse, damit sie sich reformieren könne. Doch kurz danach ist sie sang- und klanglos untergegangen und es wäre heute der historischen Wahrheit wegen nötig, auch ihre Leistungen stärker hervorzuheben. Immerhin ist mein Artikel von damals vielleicht ein historisches Zeugnis dafür geworden, wie jemand in der Wendezeit versucht hat, mit einer produktiven Architektur Kritik noch einen Einfluss auf den Transformationsprozess im Bereich von Architektur und Städtebau auszuüben, bevor die DDR dann ohne jeder Chance auf innere Korrekturen im Vereinigungsprozess versank.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert