Brief an Grönwald – Postmoderne – (1981)

Lieber Bernd!

In Sachen „postmodern“ sollte sich sachliches, differenziertes Urteilen durchsetzen. Ich schreibe Dir das, weil ich befürchten muß, daß die Meinungsbildung in dieser Sache zu schnell und zu schematisch in bestimmte Geleise abgedrängt wird. Ich wäre froh, wenn niemand diesen Begriff erfunden hätte, denn er subsummiert Erscheinungen, die von ihrer Herkunft und von ihren sozialen, politischen und ästhetischen Wirkungen sehr unterschiedlich sind. Leider hat Schnaidt´s Vortrag überhaupt nichts zu dieser notwendigen Differenzierung beigetragen. In seiner Feststellung, die Postmoderne sei die Ästhetik der wirtschaftlichen Rezession und hätte reaktionären Charakter, liegt Wahres und Falsches so dicht beieinander, wie in der „Postmodernen“ Venturi und Rossi.

Auch sollte man der These von der ökologischen Bewegung als der wesentlichen Quelle der Postmoderne bei vollem Bewußtsein nicht zustimmen. Schnaidt`s Kritik ist wegen ihres Materialismus marxistisch, aber sie ist absolut einseitig –und also wiederum nicht marxistisch. Seine Behauptung, die soziale Funktion der Architektur und postmodernen Ästhetik würden sich einander ausschließen, taugt für unsere eigene Problembewältigung überhaupt nichts und sollte doch vor dem Hintergrund (dem historisch-konkretem) geprüft werden, welche Gesellschaft wieviel und was in ihre bauliche Umwelt zu investieren bereit ist. Man kann doch nicht formale Mittel diskreditieren, ohne sie nach ihren möglichen Verwendungszwecken befragt zu haben. Die Postmoderne besteht doch nicht nur aus neoklassizistischen Säulen!

Wir sollten uns die Mühe machen, die neuen wie die alten Mittel danach zu befragen, was sie für uns taugen. Genau das werde ich in meiner Arbeit versuchen. An einer Verteufelung der „Postmoderne“ werde ich mich nicht beteiligen.

Zur Zeit wissen wir doch nur, daß sich diese Mittel (auch) gut ins Reklamegeschäft der Profitmaximierung der kapitalistischen Bauindustrie einsetzen lassen. Das wissend kritisiere ich nicht die Mittel, sondern ihre Verwendung.

Ich möchte uns also raten, Schnaidt`s Auffassung nicht für die marxistische Einschätzung der Postmoderne zu nehmen, sondern als einen Beitrag dazu. Während er in Frankreich einen der Pole darstellt und deshalb (vielleicht) einseitig urteilen darf, müssen wir solche Prozesse umfassend analysieren und konstruktive Schlußfolgerungen ziehen.

Und noch etwas: Schnaidt verfällt genauso wie seine Gegner auf die primitive Alternative, die da heißt „Bauhaus oder Postmoderne“. Von dieser geistigen Position ist es nicht mehr weit bis zu seiner absurden Meinung, alle Gegner des Bauhauses (also auch Schulze-Naumburg) seien Postmoderne.
Nur wenn wir differenziert auf die Herausforderung der Postmoderne antworten – das heißt natürlich nicht kompromißlerisch (von jedem etwas), sondern entsprechend unseren Zielen selektiv – bleiben wir glaubhaft, auch bei den Studenten. Im anderen Falle wechseln viele von denen geistig ins andere Lager, d.h., sie übernehmen den ganzen Postmodernismus.

Diese Auseinandersetzung müssen wir in aller Widersprüchlichkeit offensiv und öffentlich führen. Deshalb hat auch Henselmanns Auftritt nicht geschadet, sondern vielleicht einige Gehirnwindungen gelockert, in denen der Postmodernismus in dieser oder jener Einseitigkeit festzementiert war.
Beste Grüße – in Erwartung, Dich und Marlies morgen bei uns zu haben.

Olaf

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